Chinas Reformer stoßen an ihre Schranken

■ Nach den vier großen wirtschaftlichen Modernisierungen möchte Parteichef Deng Xiaoping eine fünfte Modernisierung in die Wege leiten: die Demokratisierung der politischen Strukturen / Wahrscheinlich verbergen sich hinter der aktuellen Bewegung die Interessen einer Parteifraktion

Von Jürgen Kremb

Berlin (taz) -Die Studentendemonstrationen der letzten drei Tage in Shanghai waren zu erwarten; was überrascht war allerdings ihr Ausmaß. Denn seit Ende September schwelt ganz offensichtlich innerhalb der höchsten Kreise der chinesischen KP ein Konflikt. Anhänger des Wirtschaftsreform–Flügels um Deng Xiaoping halten die Zeit für gekommen, nach der Welle der tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen, die in den letzten Jahren durch das Reich der Mitte gerollt sind, auch eine dezente ideologische Veränderung im Überbau der VR China in die Wege zu leiten. Nach den vier „Modernisierungen“ (in Landwirtschaft, Industrie, Landesverteidigung sowie Wissenschaft und Technik) will Deng offenbar auch die fünfte „Modernisierung“ - eine Demokratisierung des chinesisch real existierenden Sozialismus. Dagegen wehren sich die eher konservativen Antireform–Kader um Wirt schaftsfachmann Chen Yon, Staatspräsident Li Xiannian und Peng Zhin. Deng Xiaoping geht es mit mehr Demokratie freilich nicht darum, möglichst bald zu den Wahlurnen zu rufen. Sein Entwurf zur „politischen Kultur“, der von der Mehrheit im Zentralkomitee abgelehnt wurde, will nur eine bescheidene Umgestaltung im Apparat der KP, er spricht sich gegen Vetternwirtschaft, allgewaltige Kader und Ämtermißbrauch aus. Doch schon darin liegt genügend Zündstoff für die alten, konservativen Antireformer. Denn bei einer Demokratisierung fürchten sie um ihre Posten. Einzig vor diesem Hintergrund sind die Studentenproteste zu sehen. Selten gibt es nämlich spontane Demos im Reich der Mitte. Meist sind sie organisierte Kampagnen einer Fraktion der Kommunistischen Partei gegen eine andere. So stellte sich inzwischen heraus, daß etwa die Studentenproteste im Dezember 1985 gegen die „japanische Konsumgüterinvasion in China“ von Kaderspröß lingen arrangiert wurden, deren Väter vorher von Deng Xiaoping gesäubert worden waren. Hätten sich die Studenten in Shanghai, Hesei, Beijing und anderen Städten wirklich vehement gegen die Politik Dengs ausgesprochen, wären sicherlich nicht wenige in den Volksgefängnissen gelandet. Das heißt freilich nicht, daß im China der 80er Jahre unter den Intellektuellen nicht über Demokratie diskutiert wird. Im Gegenteil: Je mehr der bescheidene wirtschaftliche chinesische Wohlstand in den letzten Jahren Einzug gehalten hat, desto mehr wagen es Schriftsteller, offen Unterdrückung anzuprangern, nicht selten werden sie dabei von Reformkadern unterstützt, während die Konservativen angesichts der Öffnung zum Westen stets „geistige Verschmutzung“ befürchten. Forderungen nach umfassender Demokratie werden deshalb in der Nach–Mao– Ära nicht geduldet. Die Aktivisten der „Mauer der Demokratie“ vom Winter 1978/79, Wei Jingsheng und Xu Denli, sitzen deshalb unter Deng Xiaoping noch zu zwölf bis 15 Jahren verurteilt in den Gefängnissen und Arbeitslagern Chinas. Dennoch haben die letzten Jahre auch spontane Demonstrationen gesehen, die manchmal nicht ohne Erfolg blieben. So kamen ehemalige Rotgardisten und Studenten, die in der Kulturrevolution zwangsverschickt worden waren, im letzten Jahr nach Peking zurück, um vor dem Volkskongreß für ihre Rückkehr in die Heimat zu demonstrieren. Auch die Hochschüler der Minderheitenprovinz Xinjiang gingen 1985 für mehr Autonomie auf die Straße und hatten damit in einigen Punkten Erfolg. Die Kulturrevolution hat gezeigt, daß eine anfangs von der KP gesteuerte Bewegung schnell gegen die Führung ausschlagen kann. Damit wäre die ökonomische Reform auch zu ihrem gesellschaftlichen Wendepunkt gekommen, und die Basis würde den Überbau gestalten, nicht umgekehrt, wie es die chinesische KP bisweilen versucht hat, durchzuexerzieren. FORTSETZUNG VON SEITE 1