Spannung vor der Sitzung des ZK der KPdSU

■ Mitglieder des ZK schon in Moskau eingetroffen / Trustgruppenmitglied Nina Kowalenko in Freiheit / Sacharow wird weiter für Menschenrechte eintreten / Seine Rückkehr ist mit keinerlei Auflagen verbunden / Sacharow will seine alte Tätigkeit wieder aufnehmen

Berlin (taz) - So eine Überschrift zu machen, hätte ich mir vor Monaten noch nicht träumen lassen. Nach der Freilassung des Ehepaars Sacharow/Bonner und deren Rückkehr nach Moskau, die für heute geplant ist, nach den Studentendemonstrationen in Kasachstan und der offenen Berichterstattung über diese Ereignisse in der sowjetischen Presse und im Fernsehen, dürfte genug Zündstoff angesammelt sein, um für harte Auseinandersetzungen in diesem Parteigremium zu sorgen. Laut Satzung muß noch eine Sitzung des Zentralkomitees in diesem Jahr stattfinden. Sie wird möglicherweise heute beginnen. Informationen der Süddeutschen Zeitung zufolge sind die Mitglieder des höchsten sowjetischen Parteigremiums schon in Moskau eingetroffen. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, daß in der jüngsten Vergangenheit das ZK–Treffen schon mehrmals angekündigt, jedoch immer wieder verschoben wurde. Inzwischen wurde eine weitere Haftentlassung in Moskau bekannt. Schon am 12. 12. soll zuverlässigen Quellen zufolge die Künstlerin Nina Kowalenko, Mitglied der Moskauer „Gruppe zur Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Ost und West“ aus der psychiatrischen Klinik entlassen worden sein. Seit dem 25.9. war sie dort unter anderem mit Galopiredol und Traphtasin „behandelt“ worden. Am 15. 12. erhielt sie eine Mitteilung der zuständigen Behörde, derzufolge sie Anfang Januar aus der „Staatsbürgerschaft der Sowjetunion entlassen“ werden soll. Nina Kowalenko hatte ihre Ausreise schon vor längerer Zeit beantragt. Dies wird Andrej Sacharaow auf keinen Fall tun. Er kündigte sogar die Fortsetzung seines Kampfes für die Menschenrechte an. Der 65jährige Friedensnobelpreisträger sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ap, die Behörden hätten mit seiner Rückkehr nach Moskau keinerlei Auflagen verbunden. In dem Telefongespräch mit Gorbatschow, der ihn am Dienstag persönlich über die Aufhebung der Verbannung informiert hatte, hat Sacharow erklärt, daß er wie vor seiner Verbannung leben und alle seine Tätigkeiten wieder aufnehmen werde. In einem Telefoninterview mit dem israelischen Rundfunk kündigte Sacharow am Sonntag an, daß er frei seine Meinung vertreten werde. In einer durch seine in den USA lebenden Kinder verbreiteten Erklärung bedankte sich Sacharow bei allen, die sich um eine Freilassung bemüht hatten. Erich Rathfelder