Ein spanisches Dorf kämpft ums Überleben

■ Riano, ein Bergdorf in der spanischen Provinz Leon, soll einem Staudamm zum Opfer fallen / Seit Wochen kämpfen seine Bewohner gegen Räumung und Abriß / 15.000 demonstrierten am Sonntag gegen die Zerstörung des Tales

Aus Riano Hella Schlumberger

Am Donnerstag, dem 11. Dezember 1986, waren sie gekommen und hatten angefangen, die Häuser einzureißen. Am Freitag, dem 12. Dezember, wurden die Arbeiten auf höchstrichterlichen Befehl zunächst gestoppt. Zwanzig Häuser des Bergdorfes Riano (1070 m) in der Provinz Leon in Nordspanien waren gegen den verzweifelten Widerstand der 500 Bewohner von der Guardia Civil bereits in Schutt und Asche gelegt worden. Zwei Guardias pro Bauer, berittene Polizei aus Madrid und außerdem Hubschrauber. „Es war wie im Bürgerkrieg“, sagten die Einwohner Rianos. Mitte Januar sollen die Arbeiten zum Bau des Viadukts weitergehen, der Riano– Staudamm, ein Projekt der 60er Jahre aus der Zeit Francos, endlich seiner Bestimmung übergeben werden. Letzte Weihnachten in Riano? „Guillermo, so enden alle, die, wie du, Riano verraten“, steht auf der Strohpuppe, die seit jenen Tagen auf der Plaza vor dem Rathaus baumelt. Guillermo Hernandez heißt der Bürgermeister von der rechten AP (Alianza Popular), der sich zunächst gegen das Projekt aussprach, dann aber doch unterschrieb, was den Weg zu den Zerstörungsarbeiten freigab. Seit einer Woche hat ihn in Riano niemand mehr gesehen. Gemeint sind neben ihm: das zuständige Ministerium für öffentliche Arbeiten, die Guardia Civil und das Elektrizitätswerk „Iberduero“. „Demolicion“ (Zerstörung) steht auf der Riano zugekehrten Seite des Staudamms, der sich schon seit zwölf Jahren drohend im Tal der Esla erhebt; „Demolicion“ riefen die 15.000 Demonstranten, die am Sonntag bei strömendem Regen in der Provinzhauptstadt Leon für die Erhaltung Rianos und der übrigen acht von Überschwemmung bedrohten Nachbardörfer auf die Straße gingen. Organisiert hatte den Protestmarsch Cacor (Comision de afectados de la Comarca de Riano), die seit 1984 bestehende Widerstandsorganisation der Betroffenen und eine Coordinadora (Para la Defensa de los valles), die landesweit sympathisierende „Ecologistas“ nach Leon brachte. 1963 war das Projekt des Staudammes in Riano beschlossen worden. 1963 war Riano ein blühendes Dorf mit 2.000 Einwohnern und dem höchsten Pro–Kopf– Einkommen Spaniens durch die Viehzucht. Riano und die Nachbardörfer sollten geopfert werden, um 30 bis 100 Kilometer südlich 80.000 Hektar Land zu bewässern. „Widerstand war damals nicht möglich“, sagen sie. Niedrigstpreise wurden für Häuser, Geschäfte, Maschinen festgesetzt (2.000 Peseten pro Kind) und seit 1974 tröpfchenweise bezahlt. Manche Einwohner Riano haben allerdings bis heute keinen Pfennig gesehen. Die Zahlung zog sich über zwölf Jahre hin. Kein Mensch dachte mehr an die Realisierung, vor allem, weil auch die PSOE angetreten war, gegen das Staudammprojekt zu kämpfen, das vor allem jetzt, nach dem Eintritt Spaniens in die EG, jedes Sinns entbehrt: Fleischberge und Milchseen sind schon genügend vorhanden, auch Zuckerrüben und Mais sind nicht besonders attraktiv. Die Bewohner von Riano vermuten, daß hinter dem Vorgehen der PSOE der Druck der Elektrizitätswerke von „Iberduero“ steht, die sich Profit nicht durch die Bewässerung, sondern durch Stromerzeugung versprechen. Riano ist ein ökologisch wertvolles Gebiet: Bären, Adler, Geier, Wölfe, Störche gibt es dort noch, Heilkräuter und wilde Narzissen. Die Spuren des Keltenvolkes der Vadinienser sind noch kaum erforscht. Die Leute von Riano geben zu, einen Fehler gemacht zu haben, indem sie das Geld annahmen; jetzt wollen sie es zurückgeben. Sie haben Alternativpläne entwickelt für kleinere Staustufen, Anzapfen des Grundwassers, bescheidene Bewässerungsprojekte. Sie sind entschlossen, nach den Feiertagen die „Politica genocida“ (die völkermordende Politik) zu verhindern. Und Tausende von Sympathisanten aus dem ganzen Land mit ihnen.