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Den Kaffee aus einem Becher trinken

■ Informationveranstaltung über Aids im Gefängnis / Gefangene solidarisierten sich mit „Positiven“ und an Aids erkrankten Mitgefangenen / Plädoyer für Ausgabe von Kondomen im Knast / „Ich habe meinem Virus den Kampf angesagt!“

Aus Dieburg Heide Platen

Mitte Dezember, am Freitag um 17 Uhr, hat im Dieburger Männergefängnis eigentlich schon das Wochenende begonnen. Die Wachmänner sind nicht begeistert von der Veranstaltung, die ihnen einen späten Feierabend beschert: „Aids geht uns alle an“. Eingeladen hat die Anstaltsleitung zusammen mit der neuen - in Hessen ersten - Aids–Beraterin im Gefängnis, Karin Schwieger. In Dieburg sitzen ca. 280 Männer. Rund 50 sind dem Aufruf gefolgt, der in den verwinkelten Gängen durch den Lautsprecher scheppert: „Informationsveranstaltung Aids! Fertigmachen!“ Und dann: „Informationsveranstaltung Aids! Raustreten!“ Inge Schwieger ist enttäuscht. Sie hatte mit mehr Teilnehmern gerechnet. Wolfgang Voigt von der Aids– Selbsthilfegruppe in der JVA tröstet sie. Sie habe von ihm einen Blumentopf gewonnen, denn er hatte mit wesentlich weniger Teilnehmern gerechnet. Zu Beginn der Veranstaltung erläutert Dr. Staszewski, der an der Frankfurter Universitätsklinik Aids–Kranke behandelt, Verlauf und Symptome der Krankheit. Im Saal ist es selbst dann konzentriert still, als der Arzt wäh rend seines Dia–Vortrages den Oberkörper einer nackten Frau zeigt, der mit den roten Flecken des Kaposi–Sarkoms bedeckt ist. Zahlen, Statistiken, erschreckende Krankheitsbilder werden geboten. Viele Fragen richten sich später an Staszewski: Gibt es die Möglichkeit des Blutaustauschs, wenn man sich infiziert hat? Nein, der Virus ist in allen Körperflüssigkeiten enthalten, z. B. auch im Hirnwasser. „Hilft Spülmittel?“, fragt einer, der das gerüchteweise gehört hat. Nur äußerlich, alles andere ist Unsinn. Gibt es Hoffnung auf ein Medikament? Staszewski hofft auf den Erfolg der Forschung und die Chance eines Serums. Allzusehr setzt er darauf allerdings vorerst nicht. Er hält es für sinnvoller, wenn Virus–Infizierte darauf achten, jede Infektion gezielt zu behandeln. Er nennt die Krankheiten, die ihnen am gefährlichsten werden können: Gürtelrose, Lungenentzündung, Mundschwamm, Herpes und Hirntoxoplasmose. Alle diese Krankheiten sind heilbar, es muß nur rechtzeitig erkannt werden, dann haben auch Virus–Träger eine Überlebenschance. Durchfall, Fieber, Gewichtsabnahme und Nachtschweiß dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Hans Peter Hauschild von der Frankfurter Aids–Hilfe empfiehlt Beratung, gesundes Leben, Vollwertkost, Sport, wenig Streß. Es gehe darum, „von innen her gerne zu leben“. Hier macht sich zum zweiten Mal Unruhe bei den Ge fangenen breit. „Hier im Gefängis?“ Das erste Mal hatten sie sich empört, als sie den Rat von Elke Schwieger hörten: „Mehr mit denen reden, die nicht zur Veranstaltung gekommen sind!“ Wie denn, wird gefragt, wenn zum Beispiel die Justizbeamten Aids–Infizierte isolieren und mit Gummihandschuhen durch deren Zellen laufen? Vieles sei, meint einer, Panikmache. Ob nicht die Presse schuld sei? Jede Zeitung habe doch „ihren Doktor Heimbucher“, und alle berichteten dauernd über Aids. Ein dritter befindet, er sitze täglich stundenlang auf dem Bett eines Aids–Positiven, trinke Kaffee aus dessen Tasse, esse mit dessen Besteck und kriege kein Aids. So weit mag wiederum ein anderer nicht gehen. Reden, ja, das werde er mit den Betroffenen schon. Aber intim werden? Nein, das besser nicht. Er sagt das, nachdem Hans Peter Hauschild versucht hatte, den Gefangenen beim Geschlechtverkehr in jedem Fall das Benutzen von Kondomen nahezulegen. Er geht noch weiter, „auch Wichsen mit dem Pariser“ könne lustvoll sein. Da protestieren die Männer fast einhellig. Das wollen sie nicht. „Da fühl ich nichts mehr“, behauptet einer. Einer der drei Musiker, die vor der Veranstaltung im Saal geübt hatten, stellt seine Gitarre beiseite und tippt sich an die Stirn: „Da soll ich jedes Mal, wenn ich eine neue Frau kennenlerne, die Pariser auspacken?“ „Bei Zufallsbekanntschaften“, bescheidet ihn Uschi Linn, ebenfalls von der Aids–Hilfe Frankfurt, „ist das Kondom ein Muß.“ Von den Vorschlägen, die ein mitgefangener Emigrant macht, wollen alle nichts wissen. Er rät, die Infizierten „in ein großes Haus“ einzusperren. Er erntet prompt heftige Proteste. Ja, aber was solle man denn dagegen tun, fragt ein anderer, wenn jemand abends einen „Disco–Teenie“ kennenlernt und ansteckt? Elke Singh, Virusträgerin, also HTL– Positiv und Gründerin der Selbsthilfegruppe im Frauengefängnis Frankfurt–Preungesheim, appelliert an das Gewissen der Männer. Hier werde es deutlich: „Ist einer nun ein Schwein, oder isser keins?“ Sie berichtet, wie es ihr in Preungesheim ergangen ist, nachdem sie das Ergebnis ihrer Blutuntersuchung erfahren hatte. Sie sei in die Krankenstation gesteckt und wochenlang isoliert worden. Dann aber hätten ihr die Frauen sehr geholfen, die sich mit ihr solidarisierten. Diejenigen, die ganz bewußt mit ihr vom selben Geschirr gegessen, sie angefaßt und umarmt hätten. „Du hast Aids?“, fragt zum Schluß der Veranstaltung ein junger Mann die kräftige, vitale Elke Singh. „Wie wirst du damit fertig?“ „Ich bin“, antwortet die Frau, „nicht aids–krank, sondern Virusträgerin.“ Und: „Ich habe meinem Virus den Kampf angesagt!“ „Glaubst du, das geht?“, fragt er leise zurück.

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