„Weihnachten gegen den Ausnahmezustand“

■ In Südafrika wehren sich die Organisationen des Widerstands dagegen, den Ausnahmezustand im weihnachtlichen Konsumrausch zu vergessen / Die Geschäfte der Weißen werden boykottiert, die Kneipen sind abends geschlossen

Aus Kapstadt Hans Brandt

„Lieber Autofahrer!“, grüßt mich das Flugblatt. „Straßensperren sind eine normale Funktion der Polizei und gelten auch Ihrer Sicherheit.“ Nach Mitternacht auf der Fahrt von Johannesburg nach Kapstadt blinkte plötzlich das Blaulicht. Hundert Meter vor der Sperre steht ein Polizeiwagen abfahrtbereit am Straßenrand - für den Fall, daß jemand die Flucht ergreifen sollte. Alles läuft mit geübter Routine. Erst den Informationszettel ins Fenster, dann anhalten. Motor aus. Vorne und hinten auf, kurze Durchsuchung, Bücher etwas genauer angeguckt, mit der Taschenlampe das Wageninnere beleuchtet, Fahrzeugzulassung prüfen, Name, Ziel, Grund der Reise. Zwei oder drei suchen, die andern passen auf, das Gewehr bereit. Ein Bekannter aus Chile, an solche Vorgänge gewöhnt, war allerdings überrascht, wie freundlich sie alle sind. Aber bei uns Weißen geht es eben doch noch relativ glimpflich aus. Ein paar Stunden später versichert die Polizei in den Radionachrichten, daß alles für die Sicherheit der Bevölkerung während der Weihnachtszeit getan wird. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Tatsächlich, am Eingang des Einkaufszentrums in der Kapstädter Innenstadt wird jede Tasche durchsucht, und zahlreiche Polizisten wandern wachen Blickes in der Menge herum. Mülltonnen gibt es keine, denn darin läßt sich am einfachsten eine Bombe verstecken. In den Townships kommt die Freude gar nicht auf Das weiße Südafrika in der Weihnachtszeit ist zwar immer noch, wie jedes Jahr, ein Land im Alkohol– und Konsumrausch. Doch ein neues Gefühl der verbissenen Entschlossenheit, das alles zu genießen, schwingt mit. So leicht läßt sich der Ausnahmezustand eben doch nicht vergessen. In den Townships kommt die Freude gar nicht erst auf. Das soll auch die schon seit dem 16. Dezember laufende Kampagne „Weihnachten gegen den Ausnahmezustand“ demonstrieren, zu der die Vereinigte Demokratische Front (UDF) zusammen mit dem Gewerkschaftskongreß COSATU, dem südafrikanischen Kirchenrat (SACC) und dem Erziehungskrisenkomitee (NECC) aufgerufen hatte. Die Kneipen machen schon um acht zu. Sport– und Musikveranstaltungen finden nicht statt. Auch in den Geschäften von Weißen soll nicht eingekauft werden, und die militanten Jugendlichen sind unnachgiebig, wenn es darum geht, einen Konsumentenboykott durchzusetzen. So manches neue Hemd flattert zerfetzt am Straßenrand, weil es in einem weißen Geschäft gekauft wurde. Der Aufruf, am 16. und 24. Dezember zwischen 19 und 21 Uhr elektrische Lichter durch Kerzen zu ersetzen, wurde am 16. Dezember in vielen Gebieten mit großem Erfolg befolgt. Weihnachten hinter Gittern Die Versuche der Regierung, die Kampagne „Weihnachten gegen den Ausnahmezustand“ totzuschweigen, sind indessen mißlungen. Zwar wurde drei Zeitungen, Weekly Mail, Sowetan und City Press, die alle überwie gend von Schwarzen gelesen werden, jede Berichterstattung und jeder Kommentar über die Kampagne verboten. Doch andere Zeitungen haben darüber berichtet, auch wenn Pretorias Zensoren die Erlaubnis zur Veröffentlichung solcher Berichte verweigert hatten. Die Anwälte der Zeitungen sind der Meinung, daß die Berichte nicht gegen die Ausnahmebestimmungen verstoßen, daß Pretoria einfach blockieren will. Indessen werden zwischen 6.000 und 7.000 infolge des Ausnahmerechts Festgenommene Weihnachten hinter Gittern verbringen. Erzbischof Desmond Tutu rief bei einem Gedenkgottesdienst am Sonntag in der Kapstädter St. Georgs Kathedrale erneut zu ihrer Freilassung auf. Doch selbst das große internationale Interesse für die Kampagne „Freiheit für die Kinder“ hat Pretoria nicht dazu bewegen können, wenigstens den mindestens 2.000 inhaftierten Kindern ein Weihnachten zu Hause zu bescheren. Nach Angaben des Leiters der Polizei, General Johan Coetzee, werden 256 Kinder unter 16 Jahren, darunter ein 11jähriger, Weihnachten im Gefängnis verbringen, weil sie angeblich sonst die öffentliche Sicherheit gefährden würden.