Der Weltraumanzug der Erde wird dünner

■ Treibgase, die von der Industrie verwendet werden, zerstören den Ozonmantel der Stratosphäre / Die EG hintertreibt Produktionsbeschränkungen / Wissenschaftler prognostizieren Zunahme von Hautkrebs

Von Imma Harms

Die Ozonschicht, die den Erdball oberhalb der Atmosphäre in 15 bis 20 Kilometer Höhe umgibt und die tödlichen Strahlen der Sonne durch Filterung des UV–Anteils in lieblichen irdischen Sonnenschein verwandelt, weist seit einigen Jahren alarmierende Löcher auf. Jeweils im antarktischen Frühling, also in den Monaten September bis November, wird die Schutzschicht über den Polen dünner. 1986 stellte man über der Antarktis auf einer Fläche, die bereits die Größe der Vereinigten Staaten erreicht hat, eine Reduzierung des Ozon–Gehaltes um 40 Prozent fest. Auf den Weltraumaufnahmen des amerikanischen Satelliten „Nimbus 7“ ist die ozonarme Zone deutlich zu erkennen. Die Satellitenfotos zeigen ein ähnliches Gebiet über der Arktis, das bisher nur etwa ein Drittel so groß wie das Ozonloch über dem Südpol ist, sich aber bis in bewohnte Gebiete in Nord–Skandinavien erstreckt. Die internationale Wissenschaftlergemeinde und die staatlichen Behörden reagieren mit hektischer Betriebsamkeit. Nicht weniger als neun internationale Kongresse zum Thema „Ozon– Abbau“ wurden im vergangenen Jahr weltweit abgehalten. Der bisher letzte war eine einwöchige Tagung der UNEP, der Umweltschutzorganisation der UNO, die Anfang Dezember in Genf stattfand. Die USA entsandten im Sommer ein 18–köpfiges Forscherteam in die Antarktis, und das Max–Planck–Institut Garching expedierte im Oktober eine Laser–Meßanlage zum Südpol, mit der genauer ermittelt werden soll, wie die Ozon–Verminderung in den unterschiedlichen Höhenlagen aussieht. Das Ozonloch als Politikum Das Ozonloch ist keineswegs Gegenstand reiner Forscherneugier. Vermutet man doch, daß es der erste sichtbare Beweis für die seit Jahren vertretene These ist, daß die empfindliche Ozon– schicht um die Erde unter dem Einfluß chemischer Substanzen bleibend geschädigt wird. Bereits 1974 hatten zwei US– Wissenschaftler die These aufgestellt, daß Fluor–Chlor–Kohlenwasserstoffe (FCKW), die in vielen industriellen Prozessen und einer Vielzahl von Produkten als Treibmittel benutzt werden, in die Stratosphäre aufsteigen und dort die Konzentration des Ozons vermindern. Der Zusammenhang ist seit langem nachgewiesen. Doch noch immer hoffen die zuständigen Behörden anscheinend, daß die FCKW–Gase gar nicht die Hauptschuldigen sind. Andere Theorien werden gehandelt. Beispielsweise könnte die Sonne schuld sein, die in den letzten Jahren besonders intensiv gestrahlt hat und so nur einen Teil ihrer zerstörerischen UV–Strahlung an die Ozonschicht abgeben konnte. Diese These kann aber als widerlegt angesehen werden, denn obwohl die Sonnenaktivität in diesem Jahr wieder auf ihrem Tiefststand angekommen ist, ist das Ozonloch weiter gewachsen. Zivilisationskrankheit Hautkrebs Das amerikanische Amt für Umweltschutz prognostiziert, daß es bis zum Jahr 2060 allein in den USA 40 Millionen Fälle von Hautkrebs geben wird, darunter 800.000 tödliche. Jedes Prozent Verringerung von Ozon erhöht nach Auffassung von Prof. Crut zen vom Mainzer Max–Planck–Institut für Chemie das Risiko von Hautkrebs um zwei bis vier Prozent. „Wir sind doch etwas erschüttert über die Ozonabnahme von mehreren Prozent pro Jahr“, meint Crutzen. Auch wenn die weltweit angestellten Messungen und Hochrechnungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen und die Alleinverschuldung durch Treibgase nicht zweifelsfrei geklärt ist - daß die FCKW–Gase „Ozon–Killer“ sind, wird von niemandem bestritten. Die US–Regierung reagierte auf die Bestätigung der Theorie 1979 mit einem Verbot der unter dem Markennamen „Freon“ bekannten Treibmittel für Spraydosen. Die EG– Länder, die ein Drittel zur weltweiten FCKW–Produktion beitragen, mochten sich trotz Drängen durch die USA diesem Schritt nicht anschließen. Sie setzten auf freiwillige Produktionsbeschränkungen durch die Industrie. Tatsächlich konnte die Treibgas–Herstellung für Spraydosen in Europa in den vergangenen Jahren um fast ein Drittel gesenkt werden. FCKW–Produktion steigt weiter Trotzdem steigt die gesamte FCKW–Produktion, denn bei allen spektakulären Maßnahmen gegen die Verwendung in Spraydosen hat man die ganze Palette von anderen Anwendungsmöglichkeiten geschickt umgangen. Das ungiftige, nicht entzündliche und vor allem billige Gas dient als universelles Treib– und Kühlmittel in einer Vielzahl von Produkten und industriellen Prozessen. Schaum– und Isolationsstoffe, sogenannte Polyurethan– Schäume, werden mit seiner Hilfe hergestellt. Beim Weichschaum (Schaumgummi) wird das in die Plastikmasse geblasene Gas direkt bei der Herstellung wieder frei und entschwindet in die Atmo sphäre. Hartschäume, die als Isolationsmaterial beim Häuserbau, aber auch in jedem Kühlschrank verwendet werden, kapseln das FCKW–Gast zunächst in geschlossenen Zellen ein und geben es beim Gebrauch des Produkts, spätestens bei seiner Vernichtung wieder frei. Eine andere Variante der Hartschaum–Isolationsstoffe, die Polystyrol–Schäume, bei uns unter dem Markennamen „Styropor“ bekannt, werden teilweise unter Verwendung von FCKW–Gasen, teilweise mit Hilfe von Penthan hergestellt. Leider sieht man es den diversen Produkten, vom wärmeisolierenden Kaffeebecher bis zur Verpackung der Stereoanlage, nicht an, ob sie mit dem ozonfressenden Gas aufgeblasen wurden. Ozon–Sünder McDonalds Großabnehmer für die mit FCKW–Gas hergestellten Isolationspackungen ist übrigens McDonalds, das seinen Warmhalter mit dem Slogan unter die Leute bringt: „Hält den Hamburger warm und die Tomate kalt!“ Auch als Kühlmittel in Klimaanlagen, wie sie in Luxusautos oder Bürogebäuden eingebaut sind, ist FCKW weit verbreitet. Solange das Kühlmittel im geschlossenen System bleibt, ist es der Ozonschicht nicht gefährlich. Bei der Wartung der Anlagen oder nach ihrer Demontage und Verschrottung wird es dann allerdings frei. Produktion geht munter weiter In der EG wurden im vergangenen Jahr 114.000 Tonnen FCKW für Treibgas, 23.000 Tonnen als Kühlmittel und 70.000 für die Produktion von Schaumstoffen verbraucht. In den USA hat die Zunahme der Verwendung von FCKW für Kühlmittel und Schaumstoffe inzwischen die Ein sparung bei den Spraydosen wieder aufgefressen. Es wird munter weiterproduziert und - gekauft. Der aufgeklärte Konsument greift zu Spraydosen vielleicht nur noch mit schlechtem Gewissen; den kleinen Schaumstofftellerchen gegenüber, auf denen das Fleisch, Gemüse und Obst so appetitlich dargeboten wird, ist er immer noch völlig arglos. Wie die Dinge liegen, ist mit einer einschneidenden Drosselung der FCKW–Produktion durch die Industrie nicht so bald zu rechnen, obwohl es genügend Alternativen gibt. Viele Hartschaumprodukte könnten durch Pappe ersetzt werden, die Kühlmittel aus Klimaanlagen könnten beim Abbau der Geräte wiederverwendet werden. Das Treibgas in Spraydosen ist durch Butan oder durch eine mechanische Pumpe zu ersetzen. DuPont, der größte Hersteller von FCKW, hat in einem Schreiben an seine Kunden vom September letzten Jahres daraufhingewiesen, daß ein Ersatzprodukt für FCKW–Kühlmittel vorliegt, das in Klimaanlagen eingesetzt werden kann. „Jedoch haben weder Marktlage noch die politischen Vorgaben die Bedingungen dafür geschaffen, daß die möglichen Ersatzstoffe konkurrenzfähig werden“, kritisierte das Unternehmen in dem Schreiben und forderte staatliche „Anreize“, sprich: Subventionen. Ozonsteuer Die US–Umweltschutzbehörde EPA schlägt den umgekehrten Weg vor: Jedes Kilo FCKW–Gas sollte mit einer Steuer von 10 Dollar belegt werden, um so die Ersatzstoffproduktion, Recycling und sparsame Verwendung anzuregen. Doch die Ozon–Zerstörung ist als globales Problem nicht auf der Basis nationaler Maßnahmen zu lösen - für die Regierungen der FCKW–produzierenden Länder eine willkommene Entschuldigung, um die nötigen Maßnahmen im eigenen Lande mit Blick auf die gewissenlosen Nachbarstaaten zu verschieben. Die Mühlen der UNO mahlen langsam Seit dem vergangenen Jahr nimmt sich die Umweltorganisation der UNO, die UNEP, des Problems mit der ihr eigenen Gründlichkeit an. Im März 1986 einigte man sich auf die „Wiener Konvention“, die die allgemeine Besorgnis in so allgemeiner Art zum Ausdruck bringt und die Notwendigkeit von Maßnahmen so grundsätzlich feststellt, daß sie mühelos von jedem Teilnehmerland unterzeichnet werden konnte. Die Folgekonferenz, die in der ersten Dezemberwoche in Genf stattfand, hatte den Auftrag, in einem Protokoll die genauen Bedingungen für die Drosselung der FCKW–Produktion festzulegen. Es kam nicht dazu. Die heftigen Bemühungen der USA, Kanadas, der Schweiz, Schwedens und anderer Länder, eine Obergrenze für die jährliche Weltproduktion von FCKW festzulegen, scheiterte bisher am Widerspruch der EG– Länder, die statt einer Produktionsbegrenzung das Einfrieren der Produktionskapazitäten, also das Verbot, neue FCKW–Fabriken zu bauen, forderten. Hintergrund dieses Vorschlags: Die FCKW–Fabriken in Europa sind zur Zeit ohnehin nicht ausgelastet. Man könnte die Produktion dann noch eine Weile steigern, ohne gegen die Abmachungen zu verstoßen. Unter dem Eindruck des ständig wachsenden antarktischen Ozonlochs haben die EG–Staaten jetzt zwar eingelenkt und ihre Bereitschaft zu einer Produktionsbegrenzung bekundet, zu Beschlüssen ist es dennoch nicht gekommen. Ein ausgearbeitetes, beschlußfähiges Protokoll soll beim nächsten Meeting im Frühjahr 1987 vorliegen. Doch auch dann ist eine Einigung sehr unwahrscheinlich. Noch ist keine Steigerung der Hautkrebsrate meßbar, noch regt sich keine Unruhe unter der Bevölkerung. Warum sollte man also die Interessen der nationalen Wirtschaft aufs Spiel setzen, wenn erst die Kinder und Enkel von den Folgen des Raubbaus an der Ozonschicht betroffen sind? Dabei würde die angestrebte Regelung, nämlich die Festschreibung der jährlichen FCKW– Produktion auf dem heutigen Stand, die Ozonschicht nicht einmal retten. Experten meinen, daß die FCKW–Herstellung um 85 Prozent vermindert werden müßte, um die Ozonschicht in ihrem jetzigen Zustand zu erhalten.