Privatfunk und die Macht des Faktischen

■ Eine Bilanz zur Durchsetzung der Privatfunker anläßlich des jetzt beendeten Kabelpilotprojekts in Rheinland–Pfalz / Der angebliche Versuch hat sich als Startrampe des Kommerzfunks bewährt

Während die SPD–Bundesländer noch immer nach einer für sie akzeptablen Lösung im Umgang mit dem Kommerzfunk suchen, setzen die CDU–Länder Fakten, die sich weder wegverhandeln, noch aus der Welt schaffen lassen werden. Obwohl der „Versuch“ in Rheinland–Pfalz - gemessen an den Erwartungen nur als Flop bezeichnet werden kann, wird es in der CDU–Domäne als Erfolg gefeiert - und das mit gutem Grund. Denn egal ob über Kabel oder freie Frequenzen: der Privatfunk steht.

Nach dem Motto „Wir werden immer mehr“ verlas der Sprecher der 19 Uhr–Nachrichten Silvester im rheinland–pfälzischen Privatsender RPR freudig und fehlerfrei, daß es „seit heute“ im Norden der Bundesrepublik zwei neue Mitglieder in ihrer Familie gäbe: die Privaten Radios „Funk für Niedersachsen (ffn)“ und „Radio Hamburg“. Immerhin ist das neben Radio Schleswig–Holstein der dritte Kommerzfunk, der dem öffentlich–rechtlichen NDR auf den Magen und sich mit diesem um die Werbekunden schlägt. Mit dem nördlichen Kommerz–Trio existieren jetzt von den Alpen bis an die dänische Grenze quer über die BRD nahezu flächendeckend private Hörfunksender, die man per Knopfdruck in jedem Radio hören kann. Mit dem Linksrheinischen Runkfunk (LR) aus Ludwigshafen ist sogar ein linker Sender landesweit in Rheinland–Pfalz im Äther. Zwar wehrt sich nach wie vor das ein oder andere SPD–Bundesland gegen die Zulassung der Kommerzsender, doch mit Hilfe von Post, Bundesregierung, Unions– und FDP–Politikern sind die „Neuen“ mit recht starken Sendern ausgestattet und strahlen wie RPR bespielsweise weit nach Hessen und Nordrhein–Westfalen hinein. „Startrampe des Privatfunks“ Die Kabellandschaft selbst spielt und spielte für die Privatsender nie die große Rolle, die man ihr für diesen Bereich der neuen Medien zugeschrieben hatte. Kabel haben weniger mit den Bedürfnissen der Unterhaltungsindustrie als mit Arbeitsplätzen und einem perfektionierten Überwachungsstaat zu tun. Und so es ist nur eine Frage der Zeit und des politischen Drucks durch die Unionspolitiker, wann auch die privaten Fernsehsender sich auf der terrestrischen Ebene durchgeboxt haben werden. Allen voran die Sender SAT 1 und RTL plus. Im „gelobten Bundesland der Kommerzsender“, dem CDU–regierten Rheinland–Pfalz, ist es bereits so weit. In Mainz und Koblenz flimmert SAT 1 inzwischen über die Hausantenne in die heimischen Wohnzimmer. Eine halbe Million Zuschauer brachte dies dem Kommerzsender auf einen Schlag zu seinen 1,5 Millionen Kabelkunden dazu. Für Jürgen Doetz, Geschäftsführer von SAT 1, war das ein ganz normaler und voraussehbarer Vorgang. CDU–Mann Doetz, jahrelang in den Diensten der Landesregierung als stellvertretender Regierungssprecher, redet ganz bewußt von der „Startrampe des Privatfunks“, wenn er vom Kabelpilotprojekt in Ludwigshafen spricht, das am 31.12.86 ausgelaufen ist. Trotzdem ist der Laden nicht etwa dicht. Im Gegenteil, aus der Anstalt für Kabelkommunikation (AKK) wurden zwei Gesellschaften gebildet. Die „AKK– Sendezentrale GmbH“ mit Sitz in Ludwigshafen übernahm als privates Dienstleistungsunternehmen die Sende– und Produktionstechnik (Grundkapital: 100.000 DM, alleiniger Gesellschafter: das Land Rheinland–Pfalz) und die „Landeszentrale für private Rundfunkveranstalter (LPR)“, die für die Programmaufsicht zuständig ist. Kopfgeldprämien für Privatkunden Mit insgesamt vier Pilotprojekten in Ludwigshafen, Berlin, München und Dortmund sollten die „neuen Medien“ in ihrer Akzeptanz und ihren Auswirkungen getestet werden, hieß es vor über zehn Jahren noch. Als dann Ministerpräsident Bernhard Vogel beim Festschmaus zum Start des ersten Pilotprojekts Ludwigshafen/Vorderpfalz Ende Dezember 83 den „medienpolitischen Ur knall“ hörte, ging es nur noch um eins: Der Privatfunk sollte den Fuß endlich auch in der Bundesrepublik in die Tür zur Medienlandschaft setzen. Alles andere war sekundär. Die 1.200 angeschlossenen Kabelteilnehmer des vom Pilotprojekt Ludwigshafen zum Projekt Vorderpfalz aufgemotzten „Testballons“ spielten dabei die unwesentlichste Rolle. Jongliert wurde zwar mit gigantischen Anschlußzahlen, die bis zum Abschluß der „Versuchsphase“ erreicht werden sollten, aber das alles war letztendlich von untergeordneter Bedeutung, wie sich heute herausgestellt hat. 61.000 verkabelte Haushalte gibt es inzwischen in der Vorderpfalz. Dabei bedienten sich die Akquisiteure beim Werben von Kabelkunden „recht rüder Methoden“, weiß Manfred Helmes, stellvertretender DGB–Landesvorsitzender in Rheinland–Pfalz, zu berichten. Hohe Kopfgeldprämien für Kabelkunden waren ausgesetzt, und so wurde auch schon mal einem Blinden ein Kabelanschluß verpaßt. Kontrolleure ohne Kabel Manfred Helmes zählt zu den wenigen Kritikern in der AKK– Versammlung, die eigentlich wie ein Rundfunkrat die Kontrolle über das Pilotprojekt haben sollte. Kontrolle jedoch übte die Versammlung nach den Worten des DGB–Mannes nie aus. Deren häufigster Satz sei gewesen: „Sie nimmt Kenntnis, ohne Einwände zu erheben.“ Die Mehrheit der Versammlung habe sich mehr als „Instrument zur Durchsetzung kommerziellen Fernsehens“ verstanden. Und ein Großteil der „Kontrolleure“ besaß überhaupt keinen Kabelanschluß. Manfred Helmes stellt nach drei Jahren „Kontroll“tätigkeit jedenfalls fest, daß „die Anstaltsversammlung den überzeugenden Beweis erbracht hat, daß ein außenplurales Anbieterspektrum effektiv nicht zu kontrollieren ist“. Auch etwas anderes habe der Versuch, der nie ein Versuch gewesen sei, bewiesen. Kommerzfernsehen könne dem Vielfaltsgebot des Bundesverfassungsgerichts nicht standhalten. Der „Offene Kanal“ beispielsweise habe nur aufgrund des „unermüdlichen Engagements“ des verantwortlichen Redakteurs Ulrich Kamp und der Patronatshaltung des AKK–Vorsitzenden Prof. Ulrich Lohmar überlebt. Nach dem Ende der Versuchsphase sei das Überleben des „Offenen Kanals“ und des „Bürgerservice“ deshalb fraglicher geworden. Trotzdem war das „Versuchs“projekt notwendig. Denn so konnte man dem Steuer–und Gebührenzahler die notwendigen Kabelgroschen aus dem Kreuz leiern. Immerhin betrug das Haushaltsvolumen der AKK rund 20 Millionen DM 1986. Zwar monierte der Landesrechnungshof im vergangenen Jahr das recht flotte Ausgabengebaren der AKK, doch letzendlich handelte es sich um einen „Versuch“, so die Gerüffelten, und da könne schon mal etwas schief gehen. Was die Rechnungsprüfer allerdings rügten, waren vorwiegend die zu niedrigen Gebühren gegenüber den bundesweit ausgestrahlten Programmen, sprich von SAT 1, von dem mancher glaubt, daß er unter dem persönlichen Schutz von Bernhard Vogel stehe. Dagegen wurde es ausgesprochen teuer, wenn die Landesregierung mal zur Besichtigung der AKK kam. Die Rechnung eines Ludwigshafener Restaurants für sechs Gäste aus der Staatskanzlei und zwölf AKK–Mitarbeiter: 1.450,20 DM. Gute Freunde sollen auch gut essen. Warnung vor Zensur Seit gestern fallen die Kabelgroschen weg. „Was Sie in Zukunft verdienen wollen, müssen Sie sich auf dem Markt erwirtschaften“, so der scheidende Vorsitzende des Vorstandes der AKK– Versammlung, Ulrich Lohmar, bei einem Empfang zu den Mitarbeitern der AKK, die vorerst ihren Arbeitsplatz bis auf zwei oder drei Ausnahmen behalten dürfen. Doch Lohmars wichtigste Warnung an die Adresse der neuen „Medienpolizei“, der Landesanstalt für Privaten Rundfunk und seinen neuen Direktor Helmut G. Bauer, ging in eine andere Richtung. In den drei Jahren des Pilotprojekts sei kein Fall der Zensur erfolgt. „Es wäre schade, wenn irgendwann einmal der Versuch der Zensur gemacht werden sollte.“ Wichtig sei die Bereitschaft der gesellschaftlichen Gruppen, sich zurückzunehmen. Lohmars deutliche Worte, der manchen Streit während seiner Amtszeit mit den bisherigen AKK–Geschäftsführern Rainer Sura und Helmut G. Bauer ausfechten mußte: „Jeder Gängelungsversuch ist der Tod.“ Das gilt vor allem für den Linksrheinischen Rundfunk, der bisher bereits zwei Rügen des Aufsichtsgremiums AKK einstecken mußte. Felix Kurz