Der Westen steuert den Krieg im Golf

■ Keine Klarheit über Zahl iranischen Toter nach der Weihnachtsoffensive / Eine neue Dimension im Golfkrieg eröffnet / Mit Lieferungen von Waffen und Kriegsgütern wird der Krieg im Golf gesteuert / Abhängigkeit von Iran und Irak Ziel westlicher Intervention

Aus Bahrain William Hart

Die Schlacht ist geschlagen, die Teheraner Weihnachtsoffensive gebrochen. Der Irak reklamiert den größten militärischen Erfolg in der Geschichte des sechsjährigen Golfkrieges für sich. Gerätselt wird über die Zahl der Toten. Waren es wirklich 90.000 Tote und verwundete Iraner, wie Bagdad behauptet? Oder waren die irakischen Erfolgsmeldungen nur ein Bluff? Die Journalisten, die nach Bagdad fuhren, brachten keine Aufklärung, aber immerhin die Sicherheit, daß es einen irani schen Großangriff mit ungeheuerlich vielen Toten gegeben hat. Weihnachten überquerten iranische Freiwilligenverbände den Shatt al Arab und die Sümpfe nördlich von Bagdad. Die schlecht ausgerüsteten und ungenügend ausgebildeten Freiwilligen wurden zu Tausenden Opfer der gut vorbereiteten Iraker. Ein irakischer Mitarbeiter der britischen Nachrichtenagentur Reuter zählte allein vor der Stellung eines einzigen irakischen Maschinengewehrs 340 Tote Iraner. Die irakische Armee ließ die Angreifer vordringen, um ihnen dann den Rück zug abzuschneiden und sie umzubringen. Das Blutbad unter den Iranern erfolgte innerhalb von Stunden. Der Abtransport der Leichen und ihr Verscharren mit Bulldozern signalisiert eine neue Stufe des Golfkrieges, der der Stufe industrieller Vernichtung von Menschen nahekommt. Neue Kriegsdimension Teheraner Großangriffe sind von der irakischen Führung erwünscht und werden provoziert. Die neue Dimension dieses Krieges zeichnete sich bereits seit etwa einem Jahr ab. Irak schwächte durch Luftangriffe auf die Infrastruktur (Kraftwerke, Brücken usw.), Produktionsstätten und Ölexporteinrichtungen Iran wirtschaftlich und finanziell derart, daß dem Land die Umstellung der Kriegsführung auf moderne Taktiken unmöglich gemacht wurde. Dem Iran blieb damit im Falle der Fortsetzung des Krieges nur die Beibehaltung der Taktik der „menschlichen Wellen“ übrig. Was die iranische Exilopposition immer wieder als tiefen Widerspruch zwischen Revolutionswächtern und Armee darstellt, hat in der finanziellen und wirtschaftlichen Schwäche des Landes seine materielle Basis. Gleichzeitig werden die Angriffe des Iran für den Irak immer leichter beherrschbar und in gewisser Weise sogar steuerbar. Die in Tausenden von Einsätzen geprobte und mit modernstem, vor allem aus Frankreich stammendem Kriegsgerät ausgerüstete irakische Luftwaffe wird immer wirkungsvoller gegen die iranischen Truppenaufmärsche und -konzentrationen eingesetzt. Damit erhalten die von den USA gelieferten Satellitenaufnahmen, auf deren Weitergabe die Reagan–Administration so stolz ist und deren Empfang Iraks Verteidigungsminister in der vergangenen Woche dankend bestätigte, eine Schlüsselfunktion. Abhängigkeiten fördern Wie der irakische Verteidigungsminister erklärte, können iranische Angriffe, die im Vorfeld ausgemacht werden, durch Luftangriffe verhindert oder beschleunigt werden. Die Wirkung des Einsatzes der irakisch–französisch–us–amerikanischen Zusammenarbeit schwächt also deutlich die iranische Kriegsstragtegie der „menschlichen Wellen“. Gleichzeitig gerät der Irak, dessen Verschuldung ständig steigt, in immer größere Abhängigkeit zum Westen. Kalkül westlicher Politik ist ebenso, die US–Lieferungen hochtechnologischer Ersatzteile für iranische Flugzeuge und Raketen offenzulegen. Iran soll ein begrenzter Schutz gegen die Übermacht der gegnerischen Luftwaffe geboten werden, womit ein weiterer Schritt für eine iranische Abhängigkeit vom Westen eingeleitet wird. Es geht der US–Regierung und ihren Verbündeten nicht darum, US–Geiseln im Libanon zu befreien, sondern darum, Strukturen zu schaffen, die eine Verlängerung des Krieges ermöglichen. Teheran, so das Kalkül, muß sich dagegen schützen können, daß die eigene Infrastruktur völlig zerstört wird. Der Irak muß in die Lage versetzt werden, die iranische Wirtschaftsentwicklung zu zerstören und iranische Massenangriffe zurückzuschlagen. Der Krieg bleibt ausgeglichen und dauerhaft. Diejenigen Friedenskräfte auf beiden Seiten der Golffront, die den Krieg möglichst rasch beenden wollen, haben keine Chance. Bagdad kann weiter von der Gewinnbarkeit des Krieges träumen, und in Teheran können die Hardliner auch künftig den Kriegskurs bestimmen.