Ehre, Freiheit, Vaterland: „Woher, wohin?“

■ Burschenschafter leiten Berlins 750–Jahrfeier ein / Die Wiedervereinigung ist das Ziel, zunächst aber wird die „Union“ mit Österreich anvisiert / Auch Grünen–Sympathisanten und SPD–Mitglieder scheinen sich in den Männerbünden wohlzufühlen

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - Sie hätten keinen besseren Zeitpunkt auswählen können, die jungen Burschenschafter aus allen Teilen Rumpf– Deutschlands und Österreichs, die sich an diesem Wochenende in der altenReichshauptstadt tummelten. Ihnen allein kam das zweifelhafte Verdienst zu, gleich mit mehreren Tagungen die West– Feierlichkeiten zum 750. Geburtstag der Stadt einzuleiten. „Sängerschaft und Landsmannschaft“ und den „Turnerschaften im Coburger Convent“ ging es um den „Menschen im Sozialismus“, während die Deutsche Burschenschaft in einem vornehmen Hotel über die „Deutsche Nation“ sinnierte: „Woher, wohin, wozu?“ 400 Teilnehmer von insgesamt 131 Verbindungen an 36 Unis der Bundesrepublik und auch Österreichs waren dazu abgeordnet worden. Inclusive der „Alten Herren“ repräsentierten sie 26.000 Mitglieder der Deutschen Burschenschaft, von denen aber nur 3.000 Studenten sind. Die Blütezeiten, als man um 1815 begann, nationale Freiheitskämpfe auszufechten, sind längst vorüber. Stolz kann heute höchstens vermelden, daß das Schwarz–Rot–Gold der Bundesrepublik burschenschaftlichen Ursprungs ist. Doch in heutigen Zeiten rapiden Wertewandels ist man nicht überrascht, eherne linke Versatzstücke bei ihnen wiederzufinden. „Basisdemokratie wird bei uns in Form von Conventen, den beschlußfassenden Organen, schon lange praktiziert.“ Und wie sonst nur umgekehrt aus anderer Richtung zu hören ist, sagen sie kurz und knapp: „Die Idee der Nation wollen wir nicht der Neuen Linken überlassen“. Da wurde dann, wie einst auf KPD–Konventen in den 70ern, der Wiedervereinigung das Wort geredet, einem neutralen Deutschland oder eben einem Großdeutschland als 3. Weltmacht. Was aber tun, wenn „viele Jugendliche sich besser im afrikanischen Busch auskennen, als im eigenen Vaterland?“ Fragen über Fragen. Gewiß, die Politiker und die zuständigen Stellen sind gefordert, sich nicht auf deutschlandpolitischen Lorbeeren auszuruhen, die Einheit über alles nicht zu vergessen. Drum singt man die Hymne der Deutschen in allen drei Strophen. Zu „reaktionären Ostlandrei tern“ wollen sie deshalb aber nicht gestempelt werden, und während der Podiumsdiskussion mit dem Sozialdemokraten Stobbe, dem Grünen Schnappertz, dem Freidemokraten Fabig und Heinrich Lummer (CDU) zog sogar mancher ungeniert den Erholungsschlaf nach lang durchzechter Berliner Nacht vor. Den jungen Leuten waren die pragmatischen „Deutschland–Politiker“ zweifellos zu lasch, zu wenig kämpfe risch. Auch Lummer mochte in einer Angliederung Österreichs nicht „das“ zentrale deutsche Problem erkennen. Weil der grüne Schnappertz gleich den Verzicht auf Wiedervereinigung propagierte, „weil die Deutschen mit ihrem Reich zwei verheerende Kriege vom Zaun gebrochen haben“, wurde er unter entsprechendem Geklopfe als Rassist attackiert. „Wir wollen mehr“, ist die Devise, „heraus aus dem Schatten von 1933 bis 1945.“ Wenn dann im Namen der Menschenrechte gegen Mauer und Stacheldraht lautstark zu Felde gezogen wurde, traf das den Nerv der Korporierten. Die von Prof. Julius Schoeps im Einleitungsreferat gezeichnete Linie, wonach mit Adenauer die Freiheit vor Einheit zu gehen habe, wurde nur als mühsame Auffangposition und wenig beifallsheischend akzeptiert. Sie sind eben ein wenig hitzig, die Herren mit ihren bunten „Tönnchen“ auf dem Kopfe, das auch „Straßencerevis“ heißt, und in den Feinschmeckerabteilungen großer Kaufhäuser am Samstag nicht wenig auffiel. Nicht immer zeitigte die strenge Anwesenheitskontrolle Konsequenzen (wer gar nicht kam, muß eine sogenannte Beireitung in Höhe von 100 Mark als Strafe zahlen). Ob Fux oder Chargierter, die Freuden der Stadt wollte man sich auch nicht entgehenlassen. Denn die ganze Herrlichkeit besteht nicht nur aus Paukboden und Mensurreife, die bei den Ungeschickten zu jenen auffälligen Gesichtssymbolen männlicher Pracht führen und allgemein Schmiß genannt werden. Doch was noch zu Zeiten des Studenten Eberhard Diepgen, Berlins Regierendem, Pflicht gewesen sein mag - er fühlt sich, so Senatorin Laurien in ihrer Grußbotschaft, „mit Ihnen in besonderer Weise verbunden“, gilt heute als „fakultativ“. Und so erstaunt es nicht, daß Stefan, Student aus Würzburg und mit Freundin angereist, sich zur SPD bekennt, und in Bayern gar die Grünen gewählt habe. Er ist fasziniert von den lebenslang gepflegten „Verbindungen“ der bisher reinen Männerbündnisse. Doch auch diese Bastion bröckelt. In der Universitätsstadt Tübingen gibt es bereits eine erste feminine Burschenschaft. Kaum zu glauben, daß sie im vollen Chargenwichs zum Festkommers ziehen.