Arbeitsplätze für 500.000 Arbeitslose - aber subito

■ Berliner Wissenschaftler laufen Politikern den Rang ab / Unbürokratisches und schnell wirksames Beschäftigungsprogramm in Bonn vorgestellt / Staat soll lieber die Beschäftigung als die Arbeitslosigkeit bezahlen / Umfrage ergibt: Politiker lassen sich mit dem Beschäftigungsthema einen echten Wahlkampfschlager entgehen

Von Georgia Tornow

Pünktlich zum Beginn der „heißen Phase“ des Wahlkampfs wurde es gestern in einer Bonner Pressekonferenz vorgestellt: ein Sofortprogramm, das 500.000 Arbeitslose schnell und unbürokratisch wieder ins Erwerbsleben einfädeln soll. Wenn nun ewige Optimisten meinen, die politisch Verantwortlichen würden sich endlich doch noch dem Gesellschaftsproblem Nummer Eins gestellt haben und skeptische Mitmenschen argwöhnen mögen, hier würden doch nur wieder leere Versprechungen als Wahlkampfknüller verkauft, irren beide. Nicht Parteipolitiker, sondern die Berliner Hochschullehrer Peter Grottian und Burkhard Strümpel zeichnen als Urheber der Idee, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem die Eigeninitiative der Betroffenen zu mobilisieren. Ihr Vorschlag für eine aktive Beschäftigungspolitik: Menschen, die länger als ein halbes Jahr arbeitslos sind, sollen sich selbst Arbeitsplätze suchen, die ihren Vorstellungen und Interessen nahe kommen und die vom Staat bezahlt werden. Nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit könnte theoretisch jede und jeder - zuerst einmal wird allerdings in dem Modell von 500.000 Arbeitslosen ausgegangen, für die ein solches Angebot gelten soll - sich selbst auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz machen, wobei dem zukünftigen Chef nicht nur die eigene Arbeitskraft, sondern auch gleich deren Finanzierung angeboten würde. Mit dem Arbeitgeber wird dann ein Arbeitsvertrag ausgehandelt, der maximal für drei Jahre die monatliche Lohn– und Gehaltszahlung durch den Staat vorsieht. Je nach Arbeitszeit, Qualifikation, Alter und Familienstand sollen das zwischen 800 und 2.400 Mark netto sein. Die Arbeitsverträge sollen in der Regel auf drei Viertel der normalen Jahresarbeitszeit ausgelegt sein, wie die sich dann verteilt, soll im gegenseitigen Einvernehmen direkt zwischen den Vertragsparteien festgelegt werden. An dieser Stelle ihres Konzepts geraten die Berliner Wissenschaftler gleich mit zwei Dollpunkten der offiziellen Gewerkschaftsposition überkreuz: Arbeitszeitverkürzung soll es da ja nur bei vollem Lohnausgleich geben und die Normalarbeitszeit sollen kollektive Tarifverträge regeln. Der Arbeitsvertrag wird beim Arbeitsamt auf seine formale Richtigkeit hin geprüft, der Arbeitgeber bestätigt den Arbeitsantritt und weist nach, daß er die Be setzung der neuen Stelle nicht dazu mißbraucht hat, andere Mitarbeiter zu feuern. Damit sind dann alle Voraussetzungen für die Überweisung von Lohn oder Gehalt durch das Arbeitsamt an den neugebackenen Beschäftigten erfüllt. Um den üblichen diskriminierenden Verdrängungseffekten des Arbeitsmarktes entgegenzuwirken, haben Grottian und Strümpel noch zwei Quotierungen vorgesehen: jeweils fifty/fifty sollen sich die Arbeitsplätze auf Qualifizierte und Unqualifizierte sowie zwischen Männern und Frauen aufteilen. Die neuen Arbeitsplätze sollen vor allem in Klein– und Mittelbetrieben, in öffentlichen, in kirchlichen, sozialen und Selbsthilfe–Einrichtungen entstehen. In diesen Feldern werden günstige Chancen gesehen, selbst einen Arbeitsplatz zu finden und sogar neue Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die Staatskasse dafür zahlt. Zur Verwirklichung des Vorschlags wären jährlich 20 Milliarden Mark erforderlich. Die Initiatoren der Idee schlagen vor, diese Summe könnte dadurch finanziert werden, daß die geplanten Steuersenkungen mit einem Volumen von angekündigten 30 bis 40 Milliarden Mark nur teilweise oder überhaupt nicht realisiert werden. Im Grunde käme das Ganze sogar noch billiger, rechnen Grottian und Strümpel vor, denn 55 bis 60% der „Bruttokosten“ des entworfenen Programms würden wieder in öffentliche Kassen zurückfließen. Selbst bei relativ ungünstigen Annahmen würden dann 500.000 neue Arbeitsplätze nicht mehr als neun Milliarden Mark kosten. Die Berliner Wissenschaftler - beide sind Arbeitsmarktexperten und Peter Grottian ist darüber hinaus als Berater von Arbeitsloseninitiativen bekannt - verstehen ihren Vorschlag nicht als gegen andere beschäftigungspolitische Initiativen gerichtet und sie nehmen für ihren Vorschlag auch nicht in Anspruch, daß er der erfolgreichste Lösungsweg wäre. Allerdings haben ihrer Meinung nach andere beschäftigungspolitische Strategien bisher ganz geringe praktische Wirkungen erzielt - eine Bilanz, die die Kämpfer für die 35–Stunden–Woche auch ärgern dürfte. In ihrer Initiative sehen sie die notwendigen Elemente anvisiert, die in jedem wirkungsvollen Beschäftigungsprogramm enthalten sein sollten: - Eine große Zahl von Arbeitslosen muß eine möglichst sinnvolle Beschäftigung erhalten und die Leiter der sozialen Deklassierung unterbrochen werden; - Das Programm muß die Arbeits–, Lebens–, Motivations– und Interessenlage der Arbeitslosen zentral berücksichtigen; - Die Arbeitslosigkeit muß innerhalb von wenigen Monaten merklich abgebaut werden; - Die Abwicklung des Programms muß unbürokratisch sein, um die gewünschten Effekte rasch zu realisieren. Gegen den beliebten Vorwurf weltfremde Utopisten zu sein, deren Vorschlag keine Akzeptanz in der Bevölkerung hat, haben sich die beiden Wissenschaftler präventiv gewappnet. Im Rahmen einer repräsentativen Emnid–Umfrage bei 2.194 Bundesbürgern ließen sie ihren Vorschlag im Oktober letzten Jahres begutachten und bekamen die Rückmeldung, daß er als plausibel und mehrheitsfähig gelten kann: von den Befragten hielten ihn 18 für „ziemlich geeignet“, dagegen 33 vermindern. Insbesondere bei jungen Leuten zwischen 18 und 24 Jahren fand die Idee Anklang - ein Ergebnis, das die Forscher erwartet hatten. Überrascht waren sie dagegen von der Resonanz bei den Arbeitslosen. Zwar votierten auch hier 70 wollten von dem Vorschlag nichts wissen. Eine gleichzeitig im Auftrag des Spiegel durchgeführte Umfrage bei der gleichen Gruppe belegt deutlich, was Grottian und Strümpel immer wieder betonen: für alle Vorschläge zur Senkung der Arbeitslosigkeit vergeben Bundesbürgern derzeit Pluspunkte. Im Unterschied zu ihrem eigenen noch neuen und unkonventionellen Vorschlag finden die altbekannten Lösungsansätze sogar noch ein paar Unterstützer mehr: 74 Querschnitts halten die „Wöchentliche Arbeitszeitverkürzung“ und sogar 87 abzubauen. Ihre Deutung: fast alle beschäftigungspolitischen Strategien werden von der Bevölkerung für gut befunden - nur glaubt niemand mehr an deren Realisierung. Auf das Thema „Arbeitslosigkeit“ als Mehrheitsbringer möchten Grottian und Strümpel die Politikernasen nur zu gerne stoßen.Ob das Licht wissenschaftlicher Erkenntnis aber auch dazu taugt, das Dunkel der Unwissenheit zu durchdringen, das durch fest zusammengekniffene Politikeraugen erzeugt wird, darf bezweifelt werden. Grottian und Strümpel jedenfalls wollen ihren Vorstoß auch verstanden wissen als „konstruktive Provokation in einem verödeten Wahlkampf“.