Italiens neue Geld–Elite feiert den Aufschwung

■ In Paestum, einer antiken Tempelstadt in der Nähe Neapels, feierte Italiens bessere Gesellschaft das Neujahrsfest Ihr neues Selbstwertgefühl und ihr Sänger–Symbol Franco Califano prägten die Atmosphäre

Aus Paestum Werner Raith

Das Hotel heißt Cerere, und es ist natürlich Zufall, daß es gerade nach Ceres, der Gottheit des Wachstums und der Triebkraft benannt ist. Oder hat es doch Symbolkraft, daß dieses Publikum gerade hier seinen Neujahrs–Champagner knallen läßt? Zumindest der Ort ist kein Zufall, an dem sich ein Teil des neapolitanischen „Benessere“, der neuen Reichen, versammelt hat: Paestum, antike Tempelstadt, vor allem aber einst „Zentrum des Welthandels und der unternehmerischen Dynamik“, wie ein Fremdenführer hoffnungsfroh verheißt. Italiens „bessere“ Leute haben die Ruinenstadt in den letzten Monaten als Geheimtip entdeckt: feudale Menus, vom „Regno di mare“ über die „Crespelle alla Parigina“ bis zur „Spigola in Bellavista“ stehen auf der Karte, die Nightclubs von Salerno, Amalfi und Positano sind nicht weit. Neujahr 1987 - für mehr als zwei Drittel der Italiener wird nach der letzten Umfrage des Maknos–Instituts das bevorstehende Jahr „den Durchbruch festigen“ - geschafft hat man ihn schon 1986. Fast vier Prozent Wachstum und die Halbierung der Inflationsrate von neun auf knapp vier Prozent können sich sehen lassen. „Siege“ auf Weltwirtschaftsniveau, etwa der Erfolg FIATs beim Elefantenrennen gegen Ford um Alfa Romeo, die Allianz von Olivetti gleichzeitig mit dem amerikanischen Elektronik–Giganten AT&T und mit dem bundesdeutschen VW–Konzern, die Lieferung von hunderttausend Kleintransportern nach China - da kann man die schmählich unterge gangene Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft ebenso verschmerzen wie die drei Millionen Arbeitslosen und die paarhundert Mafia– und Camorra–Toten des Jahres. „Na endlich sind wir wieder wer“, prostet mir mein Tischnachbar zu. Nichts trübt die Freude an diesem Neujahr; besonders als der Star des Abends auftritt: Franco Califano. Er ist das Symbol für alles - für überstandene Gefahren, für das „Uns–kann–keiner“, für den Aufschwung, für die mittlere Generation der neuen Manager und Erfolgreichen. Mit ihm identifizieren sich die Menschen im Saal. Er ist - wie der Großteil von ihnen - ein guterhaltener Vierziger, zeigt die Lässigkeit des Arrivierten und gleichzeitig die Nervigkeit des bis vor kurzem noch Gebeutelten, die unpolitische Einstellung der neuen Geld–Elite ebenso wie den unbeugsamen Willen, sich diesen Aufstieg nicht wieder nehmen zu lassen. Bis vor einem Jahr mußten sie alle zittern - Franco Califano ebenso wie die neu Arrivierten, und die neu Arrivierten auch um ihren Franco Califano. Die Camorra hatte es mit ihm, besser gesagt: die Justiz, die ihn für einen Camorristen hielt. Bei einer Blitzaktion war Califano vor drei Jahren wegen Verdachts auf Rauschgifthandel festgesetzt worden und im selben Prozeß wie der populäre Showmaster Enzo Tortora angeklagt worden. Tortora hatte zu seiner Vertei digung den politischen Weg gewählt, sich auf die Liste der Radikalen Partei setzen lassen, war ins Europaparlament gewählt und damit freigesetzt worden. Das hat ihm bei den Intellektuellen Rückhalt verschafft, ihn aber auch in eine bestimmte Ecke gedrängt. Califano hielt - und hält - nichts von Politik. Er verteidigte zäh seinen Glauben an die eigene Unschuld, und das hat ihn zum Identifikationsobjekt vieler Neureicher gemacht: Sieh nur, wie schnell einer, der sich hochgearbeitet hat, durch böse Intrigen zu Fall gebracht werden kann. Der Jubel nach dem Freispruch in zweiter Instanz im vergangenen September war im Mittelstand viel stärker Califano zugewendet als Tortora. Mit Tortora hatte der Rechtsstaat gesiegt - aber was zählt der schon: Mit Califano hatte sich der Aufsteiger durchgesetzt. Er will nur singen und frei sein, alleine, gegen alle und alles, selbst gegen Frauen - gerade gegen Frauen? Auch dies gehört zum neuen „Benessere“: Die Frauen sind wieder „Frauen“. Schluß mit der Emanzipation. Im Saal regiert das Weibchen, um tiefen Ausschnitt und kuscheliger Robe, und Califano kann ein Dutzend Mal seinen Song „ti ho creato donna“, ich hab dich zur Frau gemacht“, anstimmen. Am nächsten Morgen ist es weg - das Publikum des „Benessere“; die meisten sind vielleicht ihrem Franco ins nächste Lokal gefolgt. Musik gibt es gleichwohl weiterhin: Eingerückt sind inzwischen zwei Gruppen von „Comunione e liberazione“, einer Art päpstlicher Fußtruppe aus militanten katholischen Laien. Die stimmen religiöse Lieder an, feiern ihren Gottesdienst, halten Einkehr. Sie zahlen sicher keine 120.000 Lire wie die Neureichen am Abend zuvor. Aber auch sie haben für 1987 ein Nobelhotel gewählt - und nicht wie bisher einen billigen Gasthof auf dem Lande.