Philippinen: Autonomie für südliche Inseln ?

■ Am Wochenende haben in Saudi–Arabien die Friedensverhandlungen zwischen der philippinischen Regierung und dem muslimischen Guerillaführer Misuari über ein politisches Modell für die südlichen Inseln begonnen / Semantische Akrobatik beherrscht die Szene

Aus Manila Nina Boschmann

„Als Muslim bin ich sehr optimistisch, daß die Gespräche Erfolg haben, vielleicht sogar schon binnen einer Woche „, erklärte Nur Misuari, Chef der muslimischen Moro National Liberation Front (MNLF) noch in der vergangenen Woche vor dem lange erwarteten zweiten Treffen mit philippinischen Regierungsvertretern. Und schon wenige Tage später hatte er seine Schlagzeile: „Misuari gibt Forderung nach Unabhängigkeit auf“. Gerade 48 Stunden nach Beginn der Gespräche in Dschidda lief diese Schlagzeile durch die Weltpresse. Ist der Kriegsfürst müde geworden? Hat Aquino es im Geheimen geschafft, zu einer Einigung zu kommen? Mitnichten. Der Streit über Unabhängigkeit, Autonomie oder einen eigenen Muslimstaat ist weitgehend sprachlicher Natur und die Administration Aquino riskiert mit den publicityträchtigen Treffen mit Misuari, die anderen politischen und militärischen Führer im Süden des Archipels zu vergraulen. Ein diplomatisches Experiment hat begonnen, dessen Ausgang ungewiß ist. „Warum sollen wir von Sezession sprechen, wenn wir nie ein Teil der Philippinen gewesen sind? Die Identität des Moro–Volkes ist viel älter als die philippinische“, machten MNLF–Sprecher schon vor Monaten die unterschiedlichen Sichtweisen von Muslims und den überwiegend katholischen Philippinos deutlich. Vertreter anderer Muslimorganisationen sprechen von „wirklicher Autonomie“, und Misuari selbst erläuterte nach seinem Propagandacoup am Samstag, die Autonomie, die er meine, sei „wie ein Staat im Staate“. MNLF–Kräfte hatten bereits im Dezember auf der Insel Mindanao eine provisorische Regierung ausgerufen und die eigene Flagge gehißt. Militär und Zivilbevölkerung nahmen es gelassen zur Kenntnis - Unabhängigkeitserklärungen gehören im Süden zu den wiederkehrenden politischen Ereignissen, die kaum praktische Konsequenzen haben, ist doch nicht einmal das Objekt der Begierde klar umrissen: Traditionell betrachten die Organisationen der Moro–Bevölkerung die Inseln Mindanao, Palawan, Basilan sowie das Sulu–Archipel an der indonesischen Grenze als muslimisches Gebiet. Doch jahrzehntelang siedelten Flüchtlinge und Wagemutige aus den nördlich gelegenen Inseln auf Palawan und Mindanao und heute bekennen sich dort 80 Prozent der Bevölkerung zum christlichen Glauben. Lediglich fünf Provinzen, drei davon kleine Inseln in der Sulu–See, haben eine klare Muslimmehrheit und einige Gebiete gehören zu den ärmsten und unerschlossensten des philippinischen Archipels. Ein Verzicht auf Mindanao kommt für die Zentralregierung nicht in Frage, denn dort wird unter Kontrolle diverser Multis ein Großteil der philippinischen Agrarexporte erwirtschaftet. Das Tripoli–Abkommen Die jüngste Etappe des bewaffneten Konfliktes im Süden begann Anfang der 70er Jahre, als christliche Siedler mit bewaffneten Banden (den sogenannten Ilagas) versuchten, ihre vermeintlichen Rechte gegen die angestammte Bevölkerung durchzusetzen. Die Muslimführer zahlten mit gleicher Münze zurück, und 1969 gründete der damals 27jährige Student Nur Misuari die MNLF als revolutionäre Organisation, die später von Libyen und von der Organisation Islamischer Staaten über den Jihad–Fonds unterstützt wurde. Nach der Verhängung des Kriegsrechts durch Marcos gewann die MNLF rasch an Stärke und bildete über Jahre hinweg die wichtigste organisierte Opposi tion gegen die Diktatur. Marcos seinerseits ließ auf Mindanao und den anderen Inseln ein beispielloses Blutbad anrichten, um den Widerstand zu brechen. Dies erregte nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Islamischen Konferenz, die Ölstaaten drohten dem Diktator, den Ölhahn zuzudrehen und zwangen ihn so mit Misuari an den Verhandlungstisch. 1976 wurde in Libyen das Tripoli–Abkommen unterzeichnet, das für insgesamt dreizehn Provinzen eine weitgehende Autonomie mit Legislativgewalt in internen Angelegenheiten vorsah. Dieses Dokument ist bis heute der einzige Vertrag, in dem die Rechte der muslimischen Bevölkerung als eigenständiger Gruppe je festgehalten wurden und es wird daher von allen Moro–Organisationen als conditio sine qua non betrachtet. Die Aquino–Administration spricht dagegen eher von einem „Ausgangspunkt“ für Gespräche. Aquinos Taktik Kontakte zwischen der AquinoFamilie und den Muslimrebellen reichen noch in die Lebzeiten von Aquinos Gatten Ninoy zurück, da sich unter Marcos alle Oppositionsgruppen um ein gutes Verhältnis zueinander bemühten. Trotz energischer Beschwerden von anderen Gruppen setzt die Regierung ausschließlich auf Gespräche mit dem als charismatisch geltenden Misuari. Dahinter steht offenbar die Hoffnung auf die normative Kraft des Faktischen: Je mehr die Rolle Misuaris in der Öffentlichkeit gestärkt wird, umso eher sind die anderen Fraktionen gezwungen, sich ihm anzuschließen. Eine starke MNLF gilt in Manila offenbar als angenehmerer Verhandlungspartner als diverse rivalisierende Gruppen. Die erste Kraftprobe in den begonnenen Verhandlungen wird aller Voraussicht nach über die neue Verfassung ausgetragen werden. Der Entwurf, über den am 2. Februar in einem Plebiszit abgestimmt wird, sieht unter anderem vor, daß nur jene Gebiete einer autonomen Region zugeteilt werden, deren Bevölkerung sich mehrheitlich dafür ausspricht - eine Wahl, die Misuari angesichts der Mehrheitsverhältnisse leicht verlieren könnte. Ferner soll erst das im Mai neugewählte Parlament über die Einzelheiten befinden. Muslimführer befürchten, die mehrheitlich christlichen Politiker würden eher die Rechte von Ihresgleichen verteidigen und fordern eine Zurückstellung der entsprechenden Verfassungsabschnitte im Referendum. Dies dürfte die Regierung strikt ablehnen.