Galinski besorgt über Vergleiche

■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin beklagt indirekt Kohls Versuch, auf Stimmenfang bei Unbelehrbaren zu gehen / Galinski fordert Nachhilfe für Politiker, die mit „Unvergleichbarem“ Zusammenhänge herstellen

Besorgt äußerte sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, gegenüber der taz zu Begriffen und Vergleichen von Ereignissen heute mit denen aus der „unglückseligen Vergangenheit“, wie sie Bundestagsabgeordnete, Bürgermeister und andere politisch Verantwortliche anstellen. Jüngstes Beispiel dafür lieferte Bundeskanzler Kohl (CDU), der auf einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei am Sonntag in Dortmund der DDR unterstellte, Konzentrationslagern zu unterhalten. Kohl hatte in seiner Rede zum Verhältnis zur DDR unter anderem ausgeführt, daß es sich dort um ein politisches Regime handele, „das immerhin über 2.000 unserer Landsleute als politische Gefangene drüben in der DDR in Gefängnissen und Konzentrationslagern hält“. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde kritisierte gegenüber der taz ganz allgemein, daß da Töne angeschlagen würden, die ihm bereits Veranlassung gegeben haben, seine warnende Stimme zu erheben. Man solle und müsse undemokratische Verhältnisse anprangern, meinte Galinski, aber Vergleiche anzustellen mit Begriffen aus der „unglückseligen Vergangenheit“ bedeute, „Vergessen zu predigen und die schreckliche Vergangenheit zu verharmlosen“: „Daher müssen sich alle Politiker ihrer besonderen Verantwortung gegenüber der jungen Generation bewußt sein.“ Mit den Vergleichen würden „bewußt Instinkte bestimmter Bevölkerungskreise“ angesprochen, die bei vielen Demokraten Widerspruch hervorrufen: „Wer diese schrecklichen Geschehnisse in der Vergangenheit mit heutigen Ereignissen vergleicht, geht einen gefährlichen Weg“, meinte Galinski, der einer der wenigen überlebenden KZ–Häftlinge von Auschwitz ist. Er bedauerte ausdrücklich, „daß die Demokraten bei allen Auseinandersetzungen, die notwendig sind, den Konsens hier verlieren“. Dabei habe er diesen Konsens vor gar nicht so langer Zeit bei der Eröffnung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz mal verspürt. „Das war ein Konsens, wie ich ihn schon lange nicht erlebt habe.“ Es gebe bestimmte Dinge, „die einfach nicht zu vergleichen sind“. Hier würden Kräfte auf den Plan gerufen, die man nachher nicht mehr los wird, meinte Galinski. Im Hinblick auf Politiker, die solche Vergleiche von Unvergleichbarem anstellen, sagte er, es sei vielleicht angebracht, ihnen „ein bißchen Nachhilfe zu erteilen, in dem sie sich einmal diese Vernichtungsstätten ansehen, um zu wissen, was Konzentrationslager in allen Ausmaßen bedeuten“. mtm