Ernsthafte Offerte

■ Über die Unzulänglichkeit historischer Vergleiche

Als nach 1946 in Osteuropa auf Stalins Weisung die Entwicklung zu Volksdemokratien eingeleitet wurde, hieß dies, die Dominanz der Kommunisten über die „antifaschistischen und demokratischen Kräfte“ festzuschreiben. Nun hat in Afghanistan Parteichef Nadschib dem Widerstand eine „Regierung der Nationalen Einheit“ angeboten. Diese Offerte wird von den afghanischen Rebellen mit Mißtrauen betrachtet. Doch wer nun mit den historischen Erfahrungen in Osteuropa argumentiert, übersieht die heutige, andersartige politische Konstellation in Afghanistan. War die stalinistische Außenpolitik ausgerichtet auf die Absicherung der Grenzen der Sowjetunion, steht Gorbatschow heute vor ganz anderen Problemen. Die Konturen einer neuen sowjetischen Außenpolitik zeichnen sich ab. In Asien ist sie darauf ausgerichtet, langfristig die Konflikte zu China zu lösen und damit das Kambodscha– und Afghanistanproblem vom Tisch zu bringen. Mit dem Besuch von Außenminister Schewardnadse und ZK–Sekretär Dobrynin wurde Druck auf das Regime ausgeübt, den Dialog mit dem Widerstand anzustreben. So geht es jetzt eigentlich eher darum, wie die Repräsentanten des Regimes ihren Kopf aus der Schlinge ziehen können, käme es tatsächlich zu einer Koalitionsregierung. Vor diesem Hintergrund ist die Zurückweisung des Angebots durch den afghanischen Widerstand nicht glaubwürdig; vielmehr dient diese ablehnende Haltung zunächst dazu, bessere Ausgangsbedingungen für den Dialog zu schaffen. Denn Afghanistan 1987 ist nicht Europa 1947. Erich Rathfelder