Schlagabtausch

■ Die DDR–Vergleiche von Brandt und Kohl

Die deutsche Politik wird eben nicht von Debatten, sondern von jener infantilen Streitlust beherrscht, die so endet, wie es unter Kindern üblich ist, wenn die Worte ausgehen: am Schluß wird dann mit „Selber“ zurückgeschlagen. So heißt es jetzt: selber Konzentrationslager gesagt. CDU–Sprecher Merschmeier hat eine Äußerung Willy Brandts von 1961 gefunden, wonach dieser von „Ulbrichts Mammut–KZ“ sprach. Wenn nun Willy Brandt sich am Freitag zu diesem Komplex äußern will, wenn darüberhinaus die SPD Kohls Vergleich vor den Bundestag bringen will, sollte gut überlegt werden, was gefordert ist, um ein Wettrennen der Retourkutschen zu verhindern. Denn die Äußerung von 1961 ist so falsch wie die von 1987 schlimm ist. Der Kalte Krieger Brandt ist ja nicht schon automatisch exkulpiert, weil er von dem Entspannungspolitiker Brandt abgelöst wurde. Der Kalte Krieg ist ja keine überwundene Kinderkrankheit der deutschen, auch der sozialdemokratischen Politiker. Er war Quelle bundesdeutscher Identität. Man könnte durchaus die These vertreten, daß das SPD–Konzept der Volkspartei aus dem Schoß des Kalten Krieges kroch. Volkspartei war per se antitotalitär. Totalitär wiederum war Rot gleich Braun und mithin waren die nationalsozialistischen Verbrechen nicht einzigartig. Es stände also den SPD–Politikern wohl an, dies mit zu reflektieren und nicht als dem Kalten Krieg entronnene Entspannungspolitiker aufzutrumpfen. Was machte die Brandt–Äußerung 1961 möglich und die Kohl–Äußerung 1987 so unmöglich? Vielleicht jener fragile Fortschritt, jene in den peinlichen Etappen des 40jährigen Jubiläums des Kriegsendes errungene sprachliche Sensibilität, die dort Schweigen gebietet, wo Kohl schwätzt. Vielleicht jene keineswegs kollektive Einsicht, daß man den letzten lebenden NS–Opfern wenigstens die Unvergleichbarkeit ihrer Leiden zuerkennt. Klaus Hartung