Alternativbetriebe: Totgesagte leben länger

■ Studie über den langen Marsch von der Bewegung zum Wirtschaftssektor / Mit weniger Projekten und mehr Mitarbeitern höhere Umsätze / Alternatives Selbstverständnis im Wandel / Schmahlhans ist noch immer Küchenmeister / Alternativbereich als gesellschaftliches Experimentierfeld durchaus funktional

Von Georgia Tornow

Jetzt kann es jeder schwarz auf weiß nachlesen und getrost nach Hause tragen - vielleicht sogar in die eine oder andere gerade wieder einmal massiv selbstzweifelnde Kollektivversammlung eines einschlägigen Projekts: Alternativbetriebe befinden sich nicht auf breiter Front in der Krise, Zusammenbruchsprognosen sind gänzlich unangebracht. Stattdessen ist eine Konsolidierung sowohl bei der großen Mehrheit der einzelnen Projekte wie auch des gesamten Wirtschaftssektors zu beobachten. Allerdings ist diese Entwicklung von einem Prozeß innerer Umstrukturierungen, der Veränderung von Selbstverständnis und Arbeitsweise begleitet, bei dem nur eine Größe bisher konstant bleibt: gewirtschaftet wird nach wie vor mit knappsten Mitteln. Zu diesen Aussagen kommt eine Untersuchung der Universität Erlangen–Nürnberg, deren Resultate jetzt in den Mitteilungen des Instituts für Arbeitsmarkt– und Berufsforschung veröffentlicht werden. Im Abstand von drei Jahren hatten die Wissenschaftler Henrik Kreutz und Gerhard Fröhlich die Alternativszene untersucht, um ein mögliches Nord–Süd–Gefälle auszuschließen sowohl im Großraum Hannover wie Nürnberg. Zweimal haben sie an die 90 Alternativbetriebe zu intensiven Befragungen besucht. Dabei konnten sie feststellen, daß die seit Mitte der siebziger Jahre entstandenen Alternativprojekte immer noch kräftig in Bewegung sind. In dreieinhalb Jahren Projektalltag hatte sich ihr Untersuchungsgegen stand manchmal so verändert, daß die Forscher das Projekt kaum wiedererkannten. Ist das noch der gleiche Alternativbetrieb, wenn ein– und dieselbe Projektgruppe früher mit gebrauchter Kleidung handelte und heute die Reparatur und den Verkauf von Musikinstrumenten betreibt? Oder andersherum: Ist das noch Kontinuität, wenn der Betriebszweck gleich geblieben ist, die Gründungsmitglieder aber ausgestiegen sind? Angesichts einer Vielzahl fließender Übergänge unterscheiden die Wissenschaftler vier hauptsächliche Entwicklungsvarianten: unverändert fortbestehende Projekte, bei denen sich höchstens die Rechtsform verändert hat; sogenannte „mutierte“, bei denen Änderungen von der oben beschriebenen Bandbreite stattfanden; „latente“ Projekte, bei denen zwar im Augenblick nichts läuft, aber explizite Zukunftspläne bestehen; zuletzt von den ehemaligen Mitgliedern eindeutig aufgelöste Projekte. Was dann an Stabilität festgestellt werden konnte, mag der Binnensicht der Szene durchaus widersprechen: Zwei Drittel der 1982 befragten Betriebe arbeiteten unverändert weiter, nur 13 Prozent hatten in der Zeit aufgegeben, der Rest war eben in Bewegung. Die Ergebnisse der Studie im einzelnen werfen Schlaglichter auf Brüche und Entwicklungstrends beim alternativen Wirtschaften. Als besonders instabil erwiesen sich Projekte aus dem Dienstleistungsbereich, dem dicksten Brocken im Branchen spektrum der Alternativen. Sie unterscheiden sich hier überhaupt nicht von der Entwicklung in der konventionellen Wirtschaft, die im Bereich Handel und Dienstleistungen ebenfalls einen hohen Anteil von erfolglosen Neugründungen verbuchen mußte. Besonders stabil waren dagegen Projekte in den Bereichen Landbau, Tierzucht und Verarbeitendes Gewerbe sowie der Bereich der Sozialberufe. Die durchgängige Zunahme von Projekten bei sozialen Dienstleistungen wird ganz wesentlich auf das - wenn auch rela tiv geringe - Subventionsrinnsal zurückgeführt. Staatsknete gibt es eben insbesondere für die Ausbügelung der Defizite des Sozialstaats. Der Beschäftigungseffekt in Alternativbetrieben ist weiterhin positiv, obwohl die Zahl der Betriebe geschrumpft ist. Die durchschnittliche Größe der Projekte ist von neun auf 13 Mitglieder angewachsen. Allerdings ist es hier besonders wichtig, zwischen den unterschiedlichen Beschäftigungsformen zu unterscheiden. Der Anteil derjenigen, die mit einer vollberuflichen Tätigkeit oder Teilzeitarbeit Einkommen aus den Projekten erhielten, hat gegenüber 1982 um 13 Das war jedoch nur möglich, weil die gleichzeitige Zunahme der ehrenamtlichen Projektmitglieder noch ungleich höher lag. Immer noch rechnen die Forscher vor, müssen drei Menschen unentgeltlich im Projekt arbeiten, damit ein Mensch von seiner Arbeit im Projekt leben kann. Ökonomisch sind die Projekte „seriöser“ geworden. Wer, bedingt vor allem durch einen Konzentrationsprozeß, im Alternativbetrieb selbst zum mittleren Umsatzbereich von 4.000 bis 10.000 Mark vorgestoßen ist, kann es sich nicht mehr und auch noch nicht wieder leisten, keine Steuermoral zu haben. Ebenso sind mittlerweile Sozialversicherungsbeiträge für die Projektmitarbeiter der Normalfall. Wegen der gleichzeitigen Zunahme der Mitarbeiter und vor allem der indirekten Lohnkosten haben Umsatzsteigerungen in der Regel den einzelnen Projektmitgliedern jedoch nicht mehr Geld gebracht. Nur 40 1.200 Mark im Monat. Die Selbsteinschätzung in den Projekten hat sich deutlich verändert: während sich die Projekte 1982 noch vornehmlich mit dem Begriff „alternativ“ selbst kennzeichneten, steht 1985 der Begriff „selbstverwaltet“ im Vordergrund. Ebenso haben andere „heilige Kühe“ dran glauben müssen: die früher verpönte Arbeitsteilung wird heute überwiegend praktiziert, Professionalität ist kein Schimpfwort, sondern wird angestrebt, wogegen das Bedürfnis nach kollektiven Lebensformen und das Ideal alternativen Konsumverzichts immer weniger auf Gegenliebe stoßen. In den Projekten läßt sich allerdings auch derzeit schon verbinden, was sonst gesellschaftlich noch kontrovers steht: Der Einsatz von Computern und die Orientierung auf ökologische Produkte haben gleichzeitig zugenommen. Kreutzer und Fröhlich sehen auch für die Zukunft durchaus weitere Erfolgschancen für die selbstverwalteten Projekte, aber auch für den Alternativbereich insgesamt: er ist knallfunktional für den derzeitigen gesellschaftlichen Umbruchprozeß, werden hier doch neue flexible Arbeitsformen, sinnvolle Tätigkeiten bei geringem Einkommen, relativ offene Organisationsstrukturen und der Abbau der noch vorherrschenden Hierarchien des Berufslebens experimentell erprobt - alles Themen, die auch woanders hoch im Kurs stehen.