Statistik–Routine

■ Arbeitslosigkeit ist kein Wahlkampfthema

Zehn bis 15 Prozent reale Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik spielen für die bevorstehende Wahl offensichtlich nicht die geringste Rolle. Sie waren im Wahlkampf kein Thema und werden das Ergebnis vom 25. Januar nicht beeinflussen. Es ist, als wären die drei bis vier Millionen Arbeitslosen aus der gesellschaftlichen Realität getilgt, hätten sich schier im Nebel des konservativen Zukunftsoptimismus aufgelöst, den die Regierungskoalition so meisterhaft zu verbreiten versteht. Nur insoweit gehen die 2,2 Millionen statistisch erfaßten Arbeitslosen, die gestern routinemäßig von der Nürnberger Bundesanstalt der Verwertung in den Kurznachrichtenspalten der Medien anheimgegeben wurden, in das Vorwahl– Stimmungsbild der Bundesdeutschen ein, daß man froh ist, nicht dazuzugehören. Vielmehr findet man sich in einer anderen Zahl, auch aus diesen Tagen, wieder: das Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik ist im letzten Jahr um 2,5 Prozent gestiegen. Durch nichts wird der Erfolg konservativer Ausgrenzungsstrategien besser charakterisiert als durch diese kennzeichnend unterschiedliche Akzeptanz zweier statistischer Größen. Und durch nichts wird der Zerfall von solidarischer Gesellschaftlichkeit in der Bundesrepublik krasser demonstriert als durch die Unfähigkeit der saturierten Mehrheit der Bevölkerung, zu unterscheiden: daß es sich bei den 2,5 bei den 2,2 Millionen aber um Menschen. Martin Kempe