Blutbildveränderung bei Kindern

■ Bei 27 von 100 Dortmunder Schülern Veränderung des Blutbilds / Schwächung des Immunsystems / Herbe Folgen schon bei leichten Infektionen / Sind Benzolemissionen aus Kokereien dafür verantwortlich?

Von Jakob Sonnenschein

Dortmund (taz) - Bei 27 von 100 in Dortmund–Scharnhorst untersuchten Schülern ist eine besorgniserregende Veränderung des Blutbildes festgestellt worden. Über die Ursache dieser Veränderung gibt es bisher nur Vermutungen. Eine Reduzierung der weißen Blutkörper, die vorgefunden worden sind, führt zu Immunschwäche mit der Folge, daß sich selbst kleinste Infektionen zu schwerwiegenden Krankheiten entwickeln können. Daß die Kinder in Dortmund–Scharnhorst über haupt untersucht worden sind, ist purer Zufall. Die 100 Schüler waren als Vergleichskollektiv für eine Schülergruppe in Dortmund– Derne ausgesucht worden. In Derne hatte der Landesgesundheitsminister Hermann Heinemann eine Untersuchung angeordnet, nachdem in einer der Kokerei Gneisenau nahe gelegenen Meßstation in Dortmund– Derne erhöhte aromatische Kohlenwasserstoffe gemessen worden waren. Die Ergebnisse der von Prof. Einbrodt (TH–Aachen) durchgeführten Untersuchung erbrachten für Heinemann vollkommen „überraschende“ Befunde. Von den 186 Kindern der Schule in Dortmund–Derne wurde nur bei fünf Kindern eine Veränderung des Blutbildes festgestellt. Dagegen ergab sich bei den Kindern der drei Kilometer von der Kokerei Gneisenau gelegenen Schule in Do–Scharnhorst bei 27 von 100 ein entsprechender Befund. Bisher wurde bei den Kindern nach Auskunft der Behörden keine „Mißbefindlichkeiten“ oder „klinische Auffälligkeiten“ entdeckt. Wie Prof. Einbrodt sagte, sind die klinischen Untersuchungen bisher aber „nicht besonders intensiv“ dürchgeführt worden. Diese Woche noch will Prof. Einbrodt bei den Kindern und deren Mütter Kontrolluntersuchungen vornehmen. Die insgesamt 32 betroffenen Kinder und deren Eltern bekamen die schlechten Nachrichten gestern per Boten überbracht. „Möglicherweise“, so Minister Heinemann, gehe die Veränderung des Blutbildes „auf die Einwirkung von aromatischen Kohlenwasserstoffen - dies sind beispielsweise Benzol, Toluol und Xylol zurück“. Insbesondere das Benzol nannte der Minister. Dafür sprächen auch die Urinuntersuchungen bei denen erhöhte Phenolwerte festgestellt wurden. Das sei „ein typisches Zeichen für eine Benzolbelastung“. Als Quellen für Benzolemissionen kommen Kokereien aber auch Belastungen durch Lösungsmittel in Betracht. Der Chemiker Andreas Borgmann vom BUND wies gegenüber der taz darauf hin, daß Do–Scharnhorst quasi von drei Kokereien (Gneisenau, Minister Stein und Hoesch) eingekreist sei. Ob diese Anlagen die eigentliche „Quelle“ sind, ist noch nicht klar. Als Sofortmaßnahme hat die Landesregierung ein Meßprogramm angeordnet. Nach 18 verschiedenen Kohlenwasserstoffen soll an etwa 30 Meßpunkten geforscht werden.