Berlin beharrt auf Abschiebungen

■ Obwohl sich die Lage im Libanon in den letzten Wochen dramatisch verschlechtert hat, will Berlins Innensenator Kewenig weiterhin rund 500 Libanesen in den Bürgerkrieg schicken

Für die Betroffenen ist die Lage verworren. Keiner weiß genau, ob ihm nun eine unmittelbare Abschiebung droht oder nicht, ob die Behörden in seinem Einzelfall ein Einsehen haben oder hart bleiben. Schutz vor dieser Situation versuchen die Initiatoren der „Aktion Fluchtburg“ anzubieten, indem sie Wohnungen als Verstecke organisieren und Hilfe gegenüber der Ausländerbehörde anbieten. Wie wirksam dieser Schutz sein kann, wird sich zeigen, wenn im Februar die Abschiebewelle anrollt.

Er ist gerade 17 Jahre alt geworden und stammt aus dem Palästinenserlager Beddawi bei Tripoli. Weil er im vergangenen Jahr für kurze Zeit zu seiner verwundeten Mutter ins Palästinenserlager zurückkehrte, und dann erneut nach Berlin kam, ist für Berlins Innensenator Kewenig die Sachlage klar: Mohamad Ayoub sei ein „Pendler“. Seine kurzfristige Heimreise sei Beweis genug, daß er im Libanon nicht gefährdet ist. Fazit: Abschiebetermin 9.1. Wäre der Beiruter Flughafen vorgestern nicht nach schwerem Beschuß geschlossen worden, wäre Ayoub längst im Libanon. Auch der Protest des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO war bei Berlins Innensenator Kewenig auf taube Ohren gestoßen. In einem Telegramm hatte der UNO–Vertreter „in aller Schärfe“ gebeten, nicht in den Libanon abzuschieben, da „kein Palästinenser den Flughafenbereich verlassen kann, ohne sein Leben zu gefährden“. „Verstärkt“ treffe die natürlich für „einen minderjährigen Jugendlichen“ zu. Das Beharren des Innensenats, trotz der so offensichtlich zugespitzten Lage im Libanon abzuschieben, hat in Berlin Widerstandsaktionen entstehen lassen. Vier Flüchtlinge haben bereits bei Wohngemeinschaften und Familien Unterschlupf gefunden. Sie standen kurz vor der Abschiebung, und sind rechtzeitig untergetaucht. Andere gefährdete Flüchtlinge gehen nicht mehr alleine zur Ausländerpolizei, weil die Gefahr zu groß ist, dort festgenommen zu werden und von der Abschiebehaft aus direkt zum Flughafen transportiert und abgeschoben zu werden. Zur Zeit sind rund 50 deutsche Paten im Einsatz, die mit einer Vollmacht ausgestattet zur Ausländerbehörde gehen. Rechtlich ist das einwand frei, auch wenn die Ausländerbehörde das nicht so sieht und Gegenmaßnahmen ergriff. Mal werden Vollmachten nicht akzeptiert, mal läßt man die Paten besonders lange warten, während in derselben Zeit das Sondereinsatzkommando der Ausländerpolizei in die Wohnungen der Flüchtlinge geschickt wird, um sie dort festnehmen zu lassen. Organisiert und koordiniert wird die Hilfsaktion von den Kirchen und der AL. Auch wenn der Widerstand gut organisiert ist, sind doch viele Palästinenser und Libanesen zutiefst verunsichert. „Ich verstehe das alles nicht mehr. Gibt es jetzt einen Abschiebestopp oder nicht?“, wollte ein palästinensischer Familienvater am Donnerstagabend auf der Vollversammlung der „Aktion Fluchtburg“ wissen. „Wenn Sie weder Pendler noch Straftäter, noch Libanese sind, passiert Ihnen erst mal gar nichts“, tröstete ihn der anwesende Rechtsanwalt. Der Palästinenser ist nicht der einzige, der angesichts des ewigen Hin und Hers der Abschiebepolitik des Berliner Senats in den letzten Wochen den Überblick verloren hat. Bei seiner Libanonreise im September vergangenen Jahres hatte Innensenator Kewenig dort noch „befriedete Kantone“ entdeckt und anschließend die Abschiebung von 501 Libanesen angekündigt. Vor Weihnachten erließ der Senator dann plötzlich kurzfristig wieder einen Abschiebestop und gab Anweisung, alle Libanesen und Palästinenser aus der Abschiebehaft zu entlassen, weil die Lage im Libanon „zu gefährlich“ sei. Unvermittelt und , ohne es weiter öffentlich mitzuteilen, wurde dieser weihnachtliche Abschiebstopp am 29. Dezember wieder aufgehoben, obwohl sich der Krieg im Libanon nach allen Berichten eher zugespitzt als beruhigt hat. Seit ein paar Tagen sind wieder Libanesen und Palästinenser, die als Pendler oder Straftäter gelten, in Abschiebehaft und sollen, sobald der Flugplatz Beirut wieder öffnet, abgeschoben werden. 501 Libanesen (die AL spricht von 470 Familien) sollen nach „Einzelfallprüfung“ im Februar an die Reihe kommen. Daß Innensenator Kewenig allen Horrormeldungen aus dem Libanon zum Trotz darauf beharrt, die Lage habe sich so „entspannt“, daß Abschiebungen möglich seien, hat wohl vor allem innenpolitische Gründe. Kewenig, im vergangenen Jahr als Nachfolger des Scharfmachers Heinrich Lummer ins Amt gekommen, ist vielen in seiner Partei nicht hart genug. Als der Senator seine vorweihnachtliche Amnestie für Abschiebehäftlinge aus dem Libanon erließ, erntete er prompt Kritik von seinen Parteikollegen. Der Berliner CDU–Fraktionsvorsitzende Buwitt forderte damals die „bedingslose Abschiebung“. Kewenig habe die Abschiebungen angekündigt, jetzt müsse er sie auch durchführen. Die Senatspolitik werde sonst „unglaubwürdig“ und es entstehe der Eindruck, daß Kewenig „der rechtswidrigen Fluchtburg–Kampagne der AL“ nachgebe. Der Koalitionspartner FDP ist da anderer Meinung. Ungewohnt deutlich meldete sich die FDP, die noch im Oktober für die Aufhebung des Abschiebestopps stimmte, zu Wort. „Wenn ich jetzt Innensenator wäre, würde ich nicht abschieben“, erklärte ihr ausländerpolitischer Sprecher, Dr. Lange. Die „Fluchtburg Berlin“ stellt unter anderem Notunterkünfte für bedrohte Personen bereit. Jede/r kann sich mit Geldspenden beteiligen. Miriam Moderow Peter Bischoff, Grundkreditbank Berlin, BLZ 101 901 00, Konto 645 24.