Freiwillig zurück: Vom Exil in die Diktatur

■ Über 2.000 Chilenen sind seit 1983, dem Beginn der Protestbewegung gegen Pinochet, in ihre Heimat zurückgekehrt. Zum Jahreswechsel versprach der Diktator, daß mit wenigen Ausnahmen alle Chilenen bald wieder ins Land einreisen dürften. Doch die sozialen und psychischen Probleme der Rückkehrer sind vielfältig.

Aus Santiago Iris Stolz

„Ich habe Angst, meine Vergangenheit zu treffen... Wenn das Vergessen auch meine alte Illusion getötet haben mag - ich bewahre eine Hoffnung: Wiederkehren - mit verwelkter Stirn und weißen Schläfen. Fühlen - daß das Leben ein Hauch ist und zwanzig Jahre nichts sind, daß der im Schatten umherirrende Blick Dich sucht und Dich benennt. Leben - mit der Seele verschlossen um eine geliebte Erinnerung, über die ich wieder einmal weine...“ Immer wenn Lucho in Bremen diesen Tango hörte, war der Abend gelaufen. Niemand konnte ihn aus seiner Melancholie reißen, niemand konnte ihn zum Reden bringen. Er liebte diese Traurigkeit, und manchmal beneidete ich ihn darum. Er hatte etwas, was ich nicht hatte: Vaterlandsliebe. Wie man immer gerade das am meisten will, was einem verwehrt wird, so wollte Lucho in sein Land, nach Chile. Elf Jahre lang hatte er es nicht gesehen, elf Jahre lang hatte er davon geschwärmt. Und jede Frau an seiner Seite verzweifelte angesichts dieser anderen Liebe, die so viel dauerhafter und stärker war. Rückkehrer verlieren Recht auf Asyl Als Lucho dann vor zwei Jahren auf der Liste derer stand, die zurückkehren dürfen, da war er eine Woche lang nervös und holte sich Rat bei Bekannten. Dann stellte er fest, daß er in Chile keine Arbeit finden würde, und entschloß sich schließlich: „Ich bleibe in Deutschland.“ Seitdem sagt er an einem Tag „Ich gehe nach Chile“, und am nächsten: „Ich bleibe hier.“ Ein Besuch zur Überprüfung seiner Vorstellungen ist ihm zwar nicht verwehrt - doch er würde das Recht auf Asyl verlieren. Lucho ist einer der Exil–Chilenen, deren Anzahl keiner genau weiß. Teresa Gomez, die sich in der Hilfsorganisation FASIC mit der Wiedereingliederung der Rückkehrer befaßt, geht von einer Zahl zwischen 30.000 und 200.000 Exilierten aus: 30.000, wenn man nur die politisch Verfolgten im engen Sinne berücksichtigt; 200.000, wenn man deren Familien miteinbezieht und auch diejenigen, die mehr aus Angst als aufgrund direkter Verfolgung und Bedrohung das Land verlassen haben. Viele Gründe - vor allem auch wirtschaftliche - sprechen gegen eine Rückkehr aus dem Exil. Doch mit der 1983 einsetzenden Protestbewegung gegen die Diktatur ist die Zahl der Heimkehrer rapide angestiegen. Sind von 1977 bis 1982 jährlich etwa nur 120 Personen nach Chile zurückgekehrt, so waren es allein in den letzten drei Jahren über 2.000. Weder in Argentinien noch in Uruguay gab es bereits vor dem Abtritt der Militärregierungen eine Rückkehrwelle von ähnlichem Ausmaß. Eine schwarze Liste mit 3.328 Namen Längst nicht alle, die wollen, dürfen in ihre Heimat zurückkehren. Noch 3.328 Personen stehen auf der regierungsamtlichen Liste derer, denen die Einreise ins Land verboten ist. Doch diese Liste dürfte bald schrumpfen. In seiner Neujahrsansprache verkündete Pinochet, daß er innerhalb von drei Monaten allen Chilenen - mit Ausnahme einiger weniger, die angeblich eine „ernste Ge fahr“ für das Land darstellten - die Rückkehr in ihre Heimat gestattet werde. Kurz danach wurden 227 Namen aus der Liste gestrichen. Offensichtlich ist der Diktator bemüht, im Hinblick auf den für April angesagten Papstbesuch das gespannte Verhältnis zur Kirche zu entschärfen. Doch manche Chilenen mochten ein offizielles Plazet für ihre Rückkehr nicht abwarten. Zu ihnen gehörte der Arzt Edgardo Condeza, als er im vergangenen Juni über Argentinien nach Chile einreiste. In Concepcion stellte er sich sofort den Behörden - bereit, die Konsequenzen seines Handelns auf sich zu nehmen. Die Justiz konnte allerdings kein Delikt feststellen und setzte ihn auf freien Fuß. Daraufhin erließ das Innenministerium einen Haftbefehl wegen illegaler Einreise. Das Gericht entschied am 3. September, Condeza sei gegen eine Kaution vorläufig freizulassen. Seine Frau kommentierte die Entscheidung ihres Mannes: „Edgardo geht nicht mehr weg aus Chile. Wenn es sein muß, geht er ins Gefängnis, aber in ein chilenisches. Wir haben draußen viele Leute gekannt, die ein Drama lebten, die Depressionen hatten, und manche begingen sogar Selbstmord. Wir haben gesehen, wie sie Stück für Stück starben, und wir waren nicht bereit, diese endlose Folter mitzumachen.“ Condeza ist nicht der einzige, der sein Recht, im Vaterland zu leben, durchsetzen will. Im Juli 1984 wurden drei Chilenen in ein Flugzeug gesetzt und ausgewiesen. Aber wo immer sie auch landeten, weigerten sie sich ein Touristen–Visum oder irgendein anderes zu beantragen. So wurden sie schließlich von allen Flughäfen der Welt wieder zurückge schickt nach Chile. Die Autoritäten kapitulierten angesichts solcher Hartnäckigkeit. „Die meisten können nicht erklären“, so eine Psychologin der humanitären Organisation PIDEE, die mit den Kindern der Rückkehrer arbeitet, „warum sie lieber in Chile sind als im Exil. Wenn sie vergleichen, dann fällt ihnen nur Gutes zum Exil–Land und nur Schlechtes zu Chile ein: Im Exil hatten sie Wurst auf dem Brot, hier oft nichts. Im Exil fühlten sie sich sicher, hier haben sie Angst vor Polizei und Geheimdienst. Im Exil hatten viele einen Arbeitsplatz oder bekamen zumindest Sozialhilfe, hier haben sie - wenn überhaupt - sehr unsichere und häufig wechselnde Jobs. Viele sind hier finanziell von ihren Eltern und ihrer Familie abhängig.“ Claudia gehört zu denen, die nie wieder woanders als in Chile leben wollen: „Auch der phantastischste Job kann mich nicht mehr nach Deutschland locken.“ Zwölf Jahre lang hatte sie in Frankfurt gelebt. Im Februar kam sie mit ihren drei Kindern nach Santiago. Heute kann sie nicht mehr begreifen, warum sie so lange mit der Rückkehr gezögert hat: „Zwölf Jahre verschenktes Leben - vielleicht nicht verschenkt, aber doch auch nicht richtig gelebt.“ In Frankfurt sei sie verkrampft gewesen, habe Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen. „Ich habe mir damals alle Worte vorher genau überlegt. Ich finde, die Deutschen haben einen kontrollierenden Blick, sie bewerten dich ständig. Das ist doch eine noch grausamere Form der Diktatur als die, die wir hier haben. Manchmal hatte ich das Gefühl, viele Deutsche freuen sich richtig, wenn sie dir einen Fehler beweisen können.“ Hier in Chile ist Claudia glücklich: „Endlich Chile! In Deutschland war ich allein, verloren und kalt.“ Claudias Kinder, die alle in Frankfurt geboren wurden, nörgeln manchmal, weil sie auf so viele materielle Dinge verzichten müssen. Aber abgesehen davon, meint die Mutter, hätten sie sich schnell angepaßt. Es gebe jedoch auch Kinder, die einen starken Rückkehrwunsch nach Deutschland hegen, weiß sie aus ihrem Bekanntenkreis zu berichten. „Viele sind dann völlig orientierungslos, wenn sie hier ankommen. Sie freuen sich über jede US–Fernsehserie, die sie von früher kennen. Doch für nicht wenige Eltern ist Heimweh ein Tabu.“ Im Exil wird die Heimat idealisiert Paulo ist im vergangenen Februar aus Berlin nach Chile zurückgekehrt. Trotz chronischen Geldmangels bereut er es nicht. Er ist froh, jetzt und schon unter dieser Regierung zurückgekommen zu sein. „Ich habe noch nie unter einer Militärdiktatur gelebt. Wenn ich das Pinochet–Regime ganz aus meinem Erleben ausgespart hätte, dann würde mir ein wesentliches Stück chilenischer Erfahrung fehlen. Schon jetzt ist es schwer genug, den Anschluß zu finden. Es ist, als hätte man ein Loch im Lebenslauf.“ Es gebe auch noch einen weiteren Grund, so Paulo, die Entscheidung nicht hinauszuschieben: „Viele chilenische Intellektuelle lehnen die Rückkehrer ab. Diese Ablehnung steigert sich, je später man zurückkommt. Die Rückkehrer hätten im Exil ihren persönlichen Neigungen nachgehen können, hätten studiert und sich gebildet. Und nun, wo die Situation nicht mehr ganz so schwierig ist, kehrten sie zurück und stürzten sich mit der ganzen Schwere ihrer privilegierten Bildung auf die wenigen interessanten Arbeitsplätze.“ Nach den Erfahrungen der Hilfsorganisationen gehen etwa fünf bis zehn Prozent der Heimkehrer später wieder zurück ins Exil–Land - nicht in allen Staaten verlieren sie, wie in der Bundesrepublik, damit ihr Recht auf Asyl. Der häufigste Grund für die Rückkehr ins Ausland ist die Arbeitslosigkeit. Aber es gibt auch andere Gründe: Viele Chilenen haben in der Ferne ihre Heimat idealisiert, einige werden bei der Rückkehr enttäuscht. Hernan, zum Beispiel, hatte die Schuld für seine mangelnde Lebensfreude immer auf die Exil–Situation geschoben. Jetzt ist er in Chile, die Depressionen sind geblieben, aber die Erklärung dafür ist weg. Er mußte akzeptieren: „Sich selbst und seine Macken nimmt man eben doch überall mit hin.“ Hernan ist mit seiner bitteren Erfahrung nicht allein. Josefina Rosetti und Patricio Cariola haben eine Studie über die Rückkehrer angefertigt und kennen das Problem. „Alle kommen an den Punkt“, resümieren sie, „an dem sie Vorteile und Nachteile ihrer Heimat und des Exil–Landes klar sehen. Aber sie können nicht die Vorteile beider Länder haben. Sie müssen sich entscheiden, und das ist schwer. Aber wie auch die Entscheidung ausfällt: Wer einmal im Exil gelebt hat, akzeptiert früher oder später, daß er für immer von zwei Welten sein wird - mit dem Reichtum, den das bedeutet, und auch mit der Traurigkeit.“