Im Hirtenbrief zur Wahl bleiben Bischöfe wahltaktisch moderat

■ Am vergangenen Wochenende wurde von den Kanzeln der katholischen Kirchen das Wort der Bischöfe zur Bundestagswahl verkündet / Man meidet scharfe Angriffe gegen die Grünen

Berlin (taz) - Das „Wort der katholischen Bischöfe zur Bundestagswahl“, das „Hirtenwort“, am vergangenen Wochenende von den Kanzeln verkündet, verspricht oft mehr Aufschluß über die Stimmungslage der katholischen Waldbevölkerung als zahllose Meinungsumfragen. Schließlich pflegt die katholische Kirche seit 2.000 Jahren einen gesunden machtpolitischen Realismus gegenüber den irdischen Souveränen und erweist sich immer wieder als bemerkenswert sensibel gegenüber den Stimmungen und Bedürfnissen ihrer Klientel. Wer zur Bundestagswahl 1987 ein flammendes Bischofswort wider das rot–grüne Chaos erwartet und schon das geistige Arsenal für einen Kulturkampf in der „heißen Phase“ des Bundestagswahlkampfs vorsortiert hatte, der muß sich deshalb in seiner Erwartung enttäuscht sehen. Was auch immer die Wahlkampfstrategen von CDU und SPD wünschen: die Seelen der „mitchristlichen“ Mitbürger haben den Wahlkampf satt. Sie wünschen sich Stabilität, Ruhe und - wenns geht - einen „Sozialpakt“ von Bund, Ländern, Gemeinden und politischen Parteien „mit Gewerkschaften und Arbeitgebern“ zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Darüberhinaus nehmen sie die Friedensbotschaft des Neuen Testaments doch soweit noch ernst, daß sie die Gorbatschowschen Offerten (denn wer kann mit „weltweiten Anstrengungen zum Abbau der Spannungen und zur Verständigung“ schon gemeint sein?) nicht vom Tische wischen wollen. Als „geistig–moralische“ Mahner treten die Bischöfe in ihrem Hirtenwort dort auf, wo sie die Stammwählerschaft der Parteien beschwören, zur Wahl zu gehen (“Verärgerung ist kein Grund, nicht zu Wahl zu gehen“) und vor den Utopien (den Grünen) als „schlechten Ratgebern“ warnen. Ansonsten ist das parteiplitische Urteil recht ausgewogen: Stoltenberg wird gelobt (Verbesserung der Staatsfinanzen), aber nun auch die Erhaltung des Sozialstaats eingeklagt (Renten, Familienförderung). Mit der Existenz der Grünen hat sich der deutsche Episkopat abgefunden. Die Seelen der Bürger hätten am liebsten eine große Koalition, die mit den Grünen streng, aber gütig umgeht... Selbst wenn man sich wahlkampftaktisch über diese zahme pastorale Stellungnahme grün ins Fäustchen lachen mag: Enttäuschend ist der fehlende Biß der deutschen Bischöfe schon. Weder wird zur Inhumanität der nuklearen Abschreckung ein Sterbenswörtchen verloren, noch wird die grundgesetzlich verbürgte „sittliche Wertgrundlage, die dem Schwachen zu seinem Recht verhilft“, auf die Asylanten bezogen. Ihnen will man „an der Wurzel zu helfen“ versuchen, in den Herkunftsländern also. Dann sind wir sie los. Von wahltaktischer Zurückhaltung diktiert ist wohl auch die Tatsache, daß die Bischöfe ihre Forderung aus dem Jahr 1985 nach einer „ökologisch verträglichen Wirtschaftspolitik“ nicht bekräftigen. Zwar fehlen im diesjährigen „Hirtenbrief“ frontale Angriffe gegen die Grünen, aber nützen will man ihnen natürlich nicht. Schließlich: die bekannte Haltung der deutschen Bischöfe zum „Lebensschutz“ und zur Genmanipulation, Euthanasie und Abtreibung in einem Aufwasch zu verdammen, ist diesmal recht moderat ausgefallen. Den „ernsten Willen“ auf der Suche nach einem „politischen Konzept, das den Menschen schützt“ klagen die Bischöfe ein, fordern ein „energisches Einschreiten gegen den Mißbrauch“ von „gesetzlichen Regelungen“ - doch das ist auch alles an politisch–polemischen Angriffen gegen die Befürworter einer Freigabe der Abtreibung. Vielleicht sollten die deutschen Bischöfe aber mal ein Hirtenwort gegenüber ihrem Chef riskieren, der doch vor zwei Wochen in Rom sage und schreibe das „marianische Jahr 1987“ mit folgender Würdigung der heiligen Jungfrau und Gottesmutter Maria eröffnet hat: „Jenes Werkzeug (strumento), das sich der Gottessohn erkoren hat, um zum Menschensohn zu werden.“ Daß auch die katholischen Frauen sich immer weniger als bloße Werkzeuge behandeln oder bestrafen lassen, dies gehört - erst recht „in einem freien Staat“ - zur Freiheit des Christenmenschen... Otto Kallscheuer