Dosimeter funktionieren nicht

■ Atomarbeiter und Röntgenpersonal sind mehr Strahlung ausgesetzt als gemessen wird / Brisante Studie über die Mängel der Meßeinrichtungen wird seit November 1985 unter Verschluß gehalten

Aus Bremen Viola Falkenberg

Um Atomarbeiter und Röntgenpersonal vor zu hohen Belastungen durch Strahlen zu schützen, sollen Film– und Stabdosimeter zur Überwachung dienen. Doch das amtlich vorgeschriebene Meßverfahren ist völlig veraltet und zeigt nur einen Bruchteil der tatsächlichen Strahlung an. Dies wird in einer Studie über Arbeitsbedingungen in kerntechnischen Anlagen festgestellt. Sie ist im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) vom Deutschen Gewerkschaftsbund erarbeitet worden. Bereits im November 1985 ging der Projektbericht nach Bonn. Die Veröffentlichung war ursprünglich für Mitte 1986 vorgesehen. Jetzt soll dies erst nach der Bundestagswahl am 25. Januar geschehen. Obwohl ihm die Untersuchungsergebnisse bekannt waren, teilte Minister Wallmann im September 1986 auf eine Anfrage der Grünen mit, daß er „keinen Anlaß sehe“, auf „lediglich in den Raum gestellte Defizit behauptungen bei der Personendosimetrie einzugehen“. Dabei hatte die Projektgruppe, die unter Federführung des DGB paritätisch aus Vertretern der Atomenergieunternehmen und aus Vertretern der Beschäftigten in Atomanlagen zusammengesetzt war, eindeutig festgestellt, daß die amtlich vorgeschriebenen Filmdosimeter - die die persönliche Strahlenbelastung innerhalb eines Monats aufzeigen - dies nur bruchstückhaft tun. Eine Strahlenbelastung unterhalb von 20 Millirem zeigen die Geräte „nur in Ausnahmefällen an“. Zwischen 20 und 50 Millirem „versagen 75 Prozent der Filmdosimeter, das heißt, sie liefern die Anzeige keine Dosis“. Allein diese Fehler können sich in Extremfällen bereits zu einer Jahresbelastung von 500 Millirem summieren - ein Zehntel der höchstzulässigen jährlichen radioaktiven Belastung. Doch auch bei noch höheren Strahlenmengen ist die Trefferquote dieser Schrottgeräte kaum besser. Bei Werten zwischen 50 und 100 Millirem „zeigen nur rund 50 Prozent der Filmdosimeter mehr oder weniger richtig an“ (!). Konsequenzen für die Gesundheit haben die Ergebnisse dieser Studie über „Arbeitsbedingungen in nuklearen Wiederaufarbeitungsanlagen“ nicht nur für Atomarbeiter, obwohl die Kontrolluntersuchungen lediglich in Atomanlagen, nämlich den AKWs Stade, Brunsbüttel, der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe und nach einigen Schwierigkeiten auch in den Hanauer Atombetrieben durchgeführt wurden. Aber auch das medizinische Personal, insbesondere in den Röntgenabteilungen und bei Krebsstrahlenbehandlungen, ist radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Von den 210.000 Filmdosimetern, die monatlich in der Bundesrepublik ausgegeben werden, finden allein 150.000 im medizinischen Bereich Verwendung. Parallel zu den Filmdosimetern, die vom Träger nicht abgelesen, sondern nur amtlich ausgewertet werden können, gibt es zur Sicherheit des Personals noch Stabdosimeter. Diese können selbst abgelesen werden. Obwohl diese Kontrollmöglichkeit im Alltag oft verkannt wird und diesen Geräten keine Beweiskraft zuerkannt wird, messen die Stabdosimeter erheblich zuverlässiger als die Filmdosimeter. Die Forschergruppe kam einvernehmlich zu dem Schluß, daß unverzüglich der Einsatz exakt messender Dosimeter anzuordnen sei. Sie fordern außerdem, daß spezifische Krebsarten als Berufskrankheiten anerkannt werden sollen, ohne daß der Arbeitnehmer die Ursache nachweisen muß (Beweislastumkehr). Weshalb in Sachen Strahlenmessung bisher noch nichts im Sinne der Studie passiert ist, hängt wohl auch damit zusammen, daß der gültige Jahresgrenzwert für Arbeitnehmer von 5.000 Millirem nach dem Willen der Bundesregierung gesenkt werden soll. Wenn gleichzeitig richtig anzeigende Meßgeräte nach dem neuesten Stand der Technik eingesetzt würden, könnten kostspielige nachbesserungen in den Atomanalagen fällig werden. Und, wo dies nicht möglich ist, gar der Entzug der Betriebserlaubnis drohen.