Atomwaffen in West–Berlin?

■ Der US–Botschafter und Rüstungsexperte Richard Burt dementierte eine entsprechende Frage nicht Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Hinweise auf die Existenz von Atomgranaten in der Stadt

Aus Berlin Michael Fischer

US–Botschafter Richard Burt hat am Freitag auf einer Diskussionsveranstaltung an der Freien Universität Berlin nicht eindeutig dementiert, daß die US–Streitkräfte in West–Berlin Atomwaffen besitzen. Vor angehenden Rüstungsexperten und einigen Kritikern erklärte er souverän Reagans „Sicherheitspolitik“. Nur auf die ihn offensichtlich überraschende Frage, wie wichtig die in Westberlin stationierten Atomwaffen seien, fehlten dem ansonsten mit rüstungspolitischem Fachwissen brillierenden Burt die Worte. „Sie sind nicht wichtig“, antwortete er. Die mehrfach wiederholte Nachfrage, warum sie dann aber stationiert worden seien, konnte oder wollte er nicht beantworten. Anstatt, wie nach allen anderen Fragen, seine Ausführungen mit der Bemerkung einzuleiten, das sei eine besonders gute oder wichtige Frage, dann aber herauszustellen, daß es allgemeine Praxis der US– Regierung sei, Behauptungen dieser Art weder zu bestätigen noch zu dementieren, schüttelte er nur unwillig den Kopf. Seit mehreren Jahren hält sich in West–Berlin hartnäckig das Gerücht, daß in der von den Alliierten beherrschten Stadt Atomwaffen stationiert seien. Zum einen ist dabei die Rede von nuklearen Rucksackminen, die im Krisenfalle von den extra dafür ausgebildeten Soldaten der Spezialeinheit „Detachement A“ zu Sabotagezwecken hinter die feindlichen Linien transportiert werden sollen. Die US–Armee–Zeitung „The Berlin Observer“ gab anläßlich des offi ziellen Abzugs der nuklearen Sabotagetruppe Ende 1984 zu, daß die „Special Forces“ 30 Jahre lang in Berlin stationiert gewesen waren. Ob ihre Funktion von anderen in West–Berlin stationierten US– Truppeneinheiten übernommen wurden oder der Abzug nur ein Täuschungsmanöver gewesen war, ist nicht bekannt. Der Stern veröffentlichte allerdings Ende Januar 1985 einen Einsatzplan der US–Truppen, indem unter anderem festgelegt ist, wie die in Depots in Rheinland–Pfalz und Baden– Württemberg gelagerten Minen zu den Spezialeinheiten in Westberlin und Bad Tölz transportiert werden sollen. Zum anderen wird aus der Existenz von sechs M–109 Artillerie geschützen, die neben konventionellen Geschossen auch chemische und nukleare Granaten verschießen können, die Möglichkeit abgeleitet, daß Atomgranaten in West–Berlin gelagert werden. Doch auch in diesem Fall fehlen der hiesigen Friedensbewegung Beweise. Die den Aufenthalt der alliierten Streitkräfte in Berlin regelnden internationalen Verträge wie das Vier–Mächte–Abkommen würden durch die Existenz von Atomwaffen in West–Berlin vermutlich nicht verletzt. Dennoch stellen sie eine unnötige Destabilisierung der Situation in der geteilten Stadt dar. Daß gerade dem vielgepriesenen US–Sicherheitsexperten und Superdiplomaten Richard Burt eine solche Schlappe passiert, könnte als ein weiteres Indiz für die Existenz von Atomwaffen in West–Berlin verstanden werden. Burt war vor seinem Posten als US–Botschafter in Bonn Unterstaatssekretär für Europa unter Haig und Shultz. Davor leitete der Karrierist die Abteilung der politisch–militärischen Fragen im State Departement. Auch durch die Arbeit als sicherheitspolitischer Korrespondent der New York Times und als stellvertretender Direktor des Internationalen Instituts für Strategische Studien dürfte Burt der politische Stellenwert der Frage, ob Atomwaffen in West–Berlin stationiert seien, vertraut sein.