Respekt statt Luftballons für Aquino

■ Auf den Philippinen ist die Kampagne für die Ratifizierung einer neuen Verfassung angelaufen / Das Publikum ist weitgehend desinteressiert, aber die Präsidentin hat gelernt, wie man auch ohne „peoples power“ zu Mehrheiten kommt / Die neue Verfassung bietet dem Präsidenten im Notfall weitreichende Vollmachten

Aus Manila Nina Boschmann

„Willkommen sei die Frau des Jahres“, verkündet das riesige Plakat am Nepo–Markt von Angeles City, und der Morgen ist wie geschaffen für eine Jubelparade. Strahlend blau wölbt sich der Frühlingshimmel über die Hauptstadt der prosperierenden Reisprovinz Pampanga, zwei Autostunden nördlich von Manila. Hundertfach tönt das Glockenläuten der Eisverkäufer in den Ohren, Kind und Kegel versammelt sich zum politischen Sonntagsspaziergang auf der Wiese, und nur selten stört ein Überflieger vom nahen US–Luftwaffenstützpunkt Clark die Idylle. Monsenor Yabut, der Gemeindepriester, sorgt dafür, daß keiner seine katholischen Pflichten versäumt. Er nutzt die Zeit zwischen den Ankündigungen der Ehrengäste, um seinen Schäfchen einmal mehr den Unterschied zwischen den finsteren Tagen des Marcos– Regimes und der lichten Zukunft unter Aquino vor Augen zu führen: Eine Regierung, die sich an Gesetze hält, der weihnachtliche Waffenstillstand und eben jetzt die neue Verfassung. Amen. Genau um jenes Dokument nämlich soll es heute gehen, und erwartet wird neben anderen hohen Tieren auch die Präsidentin persönlich, die seit Anfang Januar jedes Wochenende in einer anderen Provinz für einen positiven Ausgang der Volksabstimmung am kommenden 2. Februar in die Arena steigt. „Eine Präsidentsschaftswahl ohne Konkurrenten“, hat der im November geschaßte Verteidigungsminister Enrile diese politische Übung genannt und die sonntägliche Szenerie in Angeles zeigt, daß er damit nicht ganz Unrecht hat. „Sag ja zu Cory und der Verfassung“, ist der dominierende Slogan in der Hauptstadt Manila wie auch hier in der Provinz, wo sogar die Kindertagesstätten mit Schildern „für Cory“ angerückt sind. Doch kaum einer weiß zu sagen, welche Inhalte in dem 80seitigen engbeschriebenen Dokument ihm eigentlich so attraktiv erscheinen. So erklärt zum Beispiel ein junger Mann, mit einem „yes for change“–Plakat, er habe den Verfassungstext „eigentlich nur ein bißchen gelesen“. „Der Wandel“, das ist das Konglomerat der Wünsche, die sich während seiner Jugendzeit in seinem Kopf gesammelt haben: Freiheit, Gerechtigkeit, Friede... Die Sprecher auf der Tribüne tragen wenig dazu bei, diese Illusion zu zerstören. Die Bauern, die Frauen, die Arbeiter, die Studenten und die kulturellen Minderheiten, sie alle dürfen in Angeles ihre Sorgen vortragen, solange nur am Schluß ein klares „ja“ herauskommt. Am überzeugendsten sind noch die Lehrer, die die kostenlose Grundschulerziehung und die Einbeziehung der Menschenrechte preisen. Schlitzohrig der Agrarreformminister Alvarez, der die Fortsetzung von Marcos Pachtreform als eigene Errungenschaft ausgibt und sich demonstrativ bei der Übergabe von Landtiteln ablichten läßt. Realistisch dagegen der sozialdemokratische Schwager Aquinos, Butz: „Ja, die Verfassung wird die Befriedigung der Grundbedürfnisse fördern, sie ist der zweite Teil der Revolution, aber es wird lange dauern, die Demokratie funktioniert nur Stück für Stück.“ Wem das zu lange dauert, dem wird von Justizminister Gonzales beschieden: „Zur Zeit ist die Regierung allmächtig. Wollt ihr, daß sie das bleibt?“ Die „freedom constitution“, die Aquino nach der Machtübernahme ausgerufen habe (und die seither von den Marcos–Anhängern als Symbol für die „neue Diktatur“ zitiert wird), sei doch wohl nur als Übergangslösung gedacht gewesen. Kein Wort wird in Angeles verloren über die weitreichenden Notstandsgesetze, mit denen ein philippinischer Präsident auch in Zukunft binnen 60 Tagen gegen unliebsame Gegner vorgehen und deren Bürgerrechte außer Kraft setzen kann. Kein Wort darüber, warum die gerade auf Luzon einflußreiche Bauernorganisation KMP für ein klares „nein“ votiert. In der Stadt, die zu weiten Teilen davon lebt, Dienstleistungen für amerikanische Soldaten zu erbringen und sich im Gegenzug eine Zunahme der Aids–Fälle einhandelt, sind nationale Souveränität und US–Basen kein Thema. „Während der ganzen Verfassungskampagne“, sagt Gouverneur Bren Giao, „hat mich niemand danach gefragt. Die entsprechenden Artikel waren in der Verfassungskommission unter den am heißesten umstrittenen. Nur zwei einsame Plakate „Freiheit für Rudy Salas und die politischen Gefangenen“ haben sich unter die Pro–Cory–Massen gemischt. Die Familie des verhafteten KP–Führers Rodolfo Salas kommt aus Pampanga und hat vergeblich um ein Treffen mit Aquino nachgesucht. Deja vu Kein Zweifel, die neue Administration hat von der alten gelernt: Weitaus der größte Teil des Publikums stammt aus Schulen und Regierungsinstitutionen, versorgt mit den schon unter Marcos beliebten passenden T–Shirts und Spezialbussen. Nein, keine Taschengelder, wird mir versichert, das gehöre der Vergangenheit an. Aber der schale Beigeschmack bleibt, und mit der Begeisterung will es auch nicht so recht klappen. Wo noch vor einem Jahr Zehntausende in einem Meer von gelben Accessoires „Cory! Cory!“ skandierten, da wartet heute eine gelangweilte Menge von 4.000 bis 5.000 Personen ruhig ab, bis „die Retterin der Nation“ (Gouverneur Giao) pünktlich um zehn nach zehn dem Hubschrauber entstiegen ist. Ein einziger gelber Luftballon und wenige Böllerschüsse erinnern an die Zeiten, als Corazon Aquino noch nicht „Ihre Exzellenz“ war. „Hier“, sagt die Präsidentin, „muß ich mich nicht lange aufhalten.“ Um 41 Prozent sind die Staatsausgaben für die Provinz im letzten Jahr gestiegen, 50.000 bis 70.000 Jobs sind per Deficit– Spending im Straßenbau geschaffen worden und 1987 wird die Autobahn von Angeles in Aquinos Heimatprovinz Tarlac verlängert. Die Menge hörts und schweigt. Den Applaus, der hier zu holen ist, hat vorher schon die jüngste und hübscheste Aquino– Tochter Chris mit ihrem Singsang–Auftritt eingeheimst. „The greatest love of all“ ist gut für eine Zugabe, und „Love me like the first time“ wird seit Beginn der Kampagne landauf landab von philippinischen Hausfrauen mit Hingabe intoniert. „Mindestens 80 Prozent Ja– Stimmen“ erwartet der Gouverneur hier in Pampanga und wahrscheinlich liegt er damit sogar richtig. Die Linke, so erklärt mir der Lokalreporter der Tageszeitung Malaya, sei hier völlig ruhig: „Wir sind etwas verwirrt, denn in Manila sind sie ja gegen die Verfassung.“ „Während des Kampfes gegen den Diktator war hier jeder engagiert“, meint dazu eine gutsituierte ehemalige Streetfighterin. „Aber jetzt haben die Leute soviel Vertrauen in Cory, daß sie einfach „ja“ stimmen, weil sie dafür ist. In anderen Gegenden sind die Leute wachsamer, aber hier kennen sie nicht einmal die Themen.“ Und die Marcos–Anhänger? „Als Enrile gefeuert wurde, haben wir alle gedacht, er unternimmt irgendwas völlig Unerwartetes, weil wir ihn für so mächtig hielten. Wir horteten Nahrungsmittel, aber nichts geschah. Am vierten Tag fanden wir dann, daß er daß Militär nicht hinter sich haben kann, und der Respekt für Aquino ist noch mehr gewachsen.“ Als wir abends nach Hause kommen, brütet die Tochter des Hauses noch über den Schulaufgaben. Sie nimmt gerade die Verfassung durch, und die Lehrerin, die einer gelben Gewerkschaft angehört, hat die Schüler gebeten, Flugblätter für die Abstimmung zu entwerfen. Maribel mag die Verfassung eigentlich nicht, aber sie hat Angst vor Nachteilen und so schreibt die Zwölfjährige brav ein Blatt nach dem anderen voll: „Ja, ist der Schlüssel für die Ratifizierung“, „denk zweimal nach und entscheide dich weise...“