UdSSR will Legalisierung der Schwarzarbeit

■ Neues Gesetz soll ab 1. Mai den Spielraum für private Initiativen erweitern / Mindestens zwei Millionen Menschen erarbeiten pro Jahr 22 Mrd. Dollar mit Dienstleistungen und Güterproduktionen / Ausmaß und Leistungen dieser „Parallelwirtschaft“ erstmals anerkannt

Von Milan Dragovic

Moskau (afp) - Mindestens zwei Millionen Schwarzarbeiter in der UdSSR werden nach Mutmaßungen der sowjetischen Presse demnächst in ihrem Land offiziell in den Wirtschaftsprozeß eingegliedert - am 1. Mai nämlich, wenn das neue Gesetz über „private Arbeit“ in Kraft tritt. Das Gesetz wurde von den beiden Kammern des Obersten Sowjets am 19. November verabschiedet und vom Vorsitzenden des Staatskomitees für Arbeit und Soziales, Iwan Gladki, vorgestellt. Die Tageszeitung „Sowjetskaja Rossija“ schätzte inzwischen den Jahreswert der mehr oder weniger illegal am Rand des kollektiven Systems geleisteten Arbeit auf etwa 15 Milliarden Rubel (22 Milliarden Dollar). Diese Summe stellt immerhin ein Drittel der Dienstleistungen und Güterproduktion dar, die von den gesamten hierfür bestimmten Staatsbetrieben erbracht werden. Die Legalität oder Illegalität der Privatarbeit lag bisher nicht genau fest: Sie war prinzipiell weder verboten noch erlaubt. Zum ersten Mal hat nun Sowjetskaja Rossija das Ausmaß der „Parallel–Wirtschaft“ enthüllt, in deren Rahmen mindestens zwei Millionen Sowjetbürger eine ständige Tätigkeit ausüben, die sich jeder staatlichen Kontrolle entzieht. Aber die Zahl derer, die nur ab und zu „private Arbeit“ leisten, ist noch um ein Vielfaches höher: 17 bis 18 Millionen, das heißt, ein Siebtel der aktiven Bevölkerung des Landes. Die Behörden haben sich zum Ziel gesetzt, mit der Zeit alle diese „Tschastniki“ (Privaten) zu erfassen, und können damit die bereits offiziell eingestandene Unfähigkeit bemänteln, daß der Staat den ständig wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung auf dem Dienstleistungssektor nicht nachkommt. Die Prawda zitierte am Donnerstag noch belastendere Zahlen über Mängel und schlechte Qualität der Dienstleistungen: So verlieren nach Angaben des Zentralorgans der KPdSU die Sowjets je des Jahr 110 bis 120 Milliarden Arbeitsstunden, indem sie irgendwelche Reparatur– und Wartungsarbeiten durchführen müssen, weil es hierfür nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte gibt. „Diese Verschwendung macht die Jahresarbeit von 50 bis 60 Millionen Personen aus“, so die Prawda. Die Zahl der auf dem Dienstleistungssektor beschäftigten Arbeiter ist in der Sowjetunion in zehn Jahren nur um 24 Prozent gestiegen, von 2,3 Millionen im Jahre 1975 auf 2,8 Millionen 1985, diese Zahlen jedenfalls brachte Sowjetskaja Kultura. Nach Meinung der Zeitung werden etwa 2,5 Millionen Sowjetbürger das neue Gesetz benutzen, um ihre Schwarzarbeit zu legalisieren. Insgesamt 29 Aktivitäten sollen jetzt offiziell als „private Arbeit“ anerkannt werden, darunter im Handwerk, in den Dienstleistungen und in sonstigen Tätigkeiten, „die ausschließlich aus der persönlichen Arbeit von Erwachsenen und ihrer Familienmitglieder besteht“, das heißt vor allem auch: Heimarbeit und Privattaxis. Zur Familie werden Ehegatten, Eltern, Kinder über sechzehn Jahren und diejenigen Personen gezählt, für welche der Bürger mit „privater Arbeit“ Sorge trägt. Lohnarbeit von Drittpersonen wird nicht anerkannt, und „private Arbeit“ soll auch nur als Nebenerwerb gelten, wenn der Betreffende bereits eine „staatliche“ Arbeit oder einen anderen Status hat. Aber Familien mit sieben, acht oder gar zehn Kindern sind sehr zahlreich in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken, so daß es manchen gelingen dürfte, kleine Privatunternehmen auf die Beine zu bringen. Im allgemeinen müssen diejenigen, die „privater Arbeit“ nachgehen, eine jährliche Gewerbesteuer und Einkommenssteuer nach einem gestaffelten System zahlen. Von der sowjetischen Presse zu dem Thema zitierte Wirtschaftsfachleute machen geltend, daß dieses Steuersystem seine Rolle nur erfüllen könne, wenn es die private Arbeit ermutige und nicht umgekehrt. Denn laut Sowjetskaja Kultura wäre es ein Fehler, die Gewinne derer, die private Arbeit leisten, an den Einkünften derjenigen zu orientieren, die Kollektivarbeit auf demselben Sektor leisten: „Denn die Privateinnahmen können schwanken, dieser Markt hat seine eigenen Gesetze.“ Letztes Argument für das neue Gesetz: Die Behörden sehen in ihm ein Mittel, einen großen Teil der 56 Millionen Rentner im Lande zu aktivieren, von denen noch ein großer Teil voll arbeitsfähig ist.