US–Fernsehserie: „Amerika“: Die Russen kommen!

■ Ein neues Mammutprojekt der US–Fernsehgesellschaft ABC läßt schon Wochen vor seiner Ausstrahlung die Wogen hochschlagen / Vierzehn Stunden lang wird darin beschrieben, wie das Leben in den Vereinigten Staaten unter sowjetischer Besatzung aussähe / Eine Fallstudie zur Pathologie US–amerikanischen Fernsehens

Aus Washington Stefan Schaaf

Erinnert sich noch jemand an „The Day After“, jene amerikanische Produktion, die das Leben nach einem Nuklearangriff auf die Kleinstadt Lowell in Kansas beschrieb? Was wir in der Bundesrepublik nur im Kino sehen konnten, war in den USA ein Fernsehereignis von nationaler Bedeutung. ABC, die TV–Gesellschaft, die seit längerem mit allen Mitteln versucht, den dritten Platz in der Zuschauergunst mit den Konkurrenzunternehmen NBC oder CBS zu tauschen, badete wochenlang in den Schlagzeilen, die das Atom– Drama hervorgerufen hatte. Rechte Zirkel tobten wegen der angeblichen „pazifistischen Propaganda“, die „The Day After“ darstelle, und setzten durch, daß nach der Ausstrahlung eine illustre Gruppe von Raketen–Freaks auf den Bildschirmen erschien und die Produktion auseinandernahm. Die Kritiker von „The Day After“ werden in der dritten Februarwoche bittere Rache nehmen. Eine Drehbuch–Idee, die aus der Zeit jenes Atom–Epos stammt, nähert sich nach vielen Umwegen ihrer Realisierung. ABC wird einen 14–stündigen Frontalangriff auf die Einschaltquoten starten und mit „America“ die Fernsehzuschauer einen Trip in die Zukunft nehmen lassen; die ist alles andere als rosig, sie ist rot, blutrot gar - denn 1996 ist laut Drehbuch das zehnte Jahr, in dem die Vereinigten Staaten von „den Russen“ besetzt sind. Die USA sind in einen Polizeistaat verwandelt worden. Was man aus den Nachrichten kennt - Käuferschlangen, gewaltsame Vereinheitlichung und politische Repression - hat nun auch in Texas und Nebraska Einzug gehalten. Schreckensvision kalter Krieger Es beginnt alles 1986, als - nie erfährt man, warum - eine sowjetische Atombombe einen „elektromagnetischen Impuls“ über dem nordamerikanischen Kontinent auslöst, der alle elektronischen Kommunikationsmittel außer Gefecht setzt. In der Folge besetzen sowjetische Armee–Einheiten die Vereinigten Staaten und beginnen eine Schreckensherrschaft. Zur allgemeinen Überraschung hat sich zehn Jahre später, als die Handlung des Films einsetzt, die übergroße Mehrheit mit den neuen Herren arrangiert - bis auf einige Widerständler. Die Rolle ihres Anführers spielt Kris Kristofferson, und mehr wird jetzt noch nicht verraten... Gern hätten die Produzenten von „America“ den Inhalt ihres Mammutprojekts bis zur Ausstrahlung geheimgehalten, doch schon die ersten Gerüchte über die Handlung rief liberale Medienkritiker auf den Plan, denen es bald auch gelang, Einblick in das Drehbuch zu erhalten. Der Schinken vom Umfang des New Yorker Telefonbuchs bestätigte ihre Befürchtungen: Die endgültige Schreckensvision aller Kalten Krieger, ein kommunistisch besetztes Nordamerika, soll in „America“ in Szene gesetzt werden. Was die Kritiker neben der ideologischen Belastung des Themas vor allem in Rage bringt, ist die wirre Vermischung von realen und fiktiven Versatzstücken im roten Faden der Handlung. Da gibt es eine UN–Friedenstruppe, die die schmutzige Arbeit der Sowjets bei der Unterwerfung der Vereinigten Staaten ausführt und dabei noch schlimmer über die Stränge schlägt als die Okkupanten selbst. Es sei natürlich nicht die wirkliche UNO gemeint, entgegnen die Produzenten - doch wer soll das erkennen? Es ist klar, daß die Ausstrahlung des 35 Millionen Dollar teuren Ost–West–Spektakels durch Proteste im Vorfeld nicht verhindert werden wird; doch was die Kritiker fordern, ist - ebenso wie im Anschluß an „The Day After“ - eine Diskussionsrunde, die die Dinge wieder ins rechte Licht rückt. Statt Kissinger wünscht man sich allerdings eher Daniel Ellsberg oder Noam Chomsky. Eine Reihe von lokalen Teach–Ins ist geplant, in denen Friedensgruppen auf die Lücken zwischen sowjetisch–amerikanischer Realität und TV–Fiktion hinweisen wollen. Inmitten der negativen Vorab– Publicity waschen Produzent und Drehbuchautor währenddessen ihre Hände demonstrativ in Unschuld. Letzterer, der 45jährige Donald Wrye, meint angesichts des auf der Linken ausgebrochenen Sturms empört, er sei Demokrat und Kennedy–Anhänger, und Produzent Brian Stoddard sagt, die Handlung sei nur ein Hilfsmittel, um eine ganz andere Botschaft zu übermitteln. „Es geht darum, wie gewöhnliche Amerikaner sich unter außergewöhnlichen Umständen verhalten würden.“ AMERIKA, so Stoddard, solle die Erfordernisse aufzeigen, „die das Leben in einer Demokratie mit sich bringt und wie wir Amerikaner sein und bleiben können“. Die Proteste der Medienkritiker haben weniger mit Zensur eines künstlerischen Werkes zu tun als mit der Macht, die der Bildschirm auf die amerikanische Psyche ausübt. Sechs bis sieben Stunden pro Tag prasselt der wirre Salat aus Sport, Familienserien, Musikvideos und Werbung auf die Sinnesorgane eines durchschnittlichen US–Bürgers ein. Die Welt der TV–Röhre hat für die Wahrnehmung der Realität eine ebenso große Bedeutung wie die Welt aus Luft, Licht, Blech und Beton, durch die man sich auf den eigenen zwei Beinen bewegt. Dramatisch wird dieser Umstand, wenn es um Politik geht, um Außenpolitik gar. Während man zwischen New Jersey und Oregon äußerst selten auf sowjetische Bürger stößt, gehören sie zur medialen Alltagskost. Ob sie gegen Rüstungskontrollabkommen verstoßen oder kleine Kinder in Afghanistan verstümmeln - kein Tag vergeht ohne eine gehörige Dosis von Horror und Feindbildern. Ein über vier Abende gestreckter Quadro–TV–Whopper voll Gehirnwäsche, Kadavergehorsam und Polit–Terror würde jedoch alles bisher Dagewesene übertreffen. Es sei zu hoffen, so schreibt das linke Monatsmagazin „Mother Jones“, daß die Zuschauer reif genug sind, „America“ als das zu sehen, was es sei: eine Fallstudie über die Pathologie amerikanischen Fernsehens.