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Hasselmanns Geschichten

■ Niedersachsens Innenminister in Rechtfertigungsnöten / Rechtliche Grundlage für ED–Behandlung von 414 Besuchern des Jugendzentrums in Göttingen fehlt immer noch / Bundesgrenzschutz suchte erfolglos nach „Freiem Radio“ / Belog der Minister den Landtag?

Aus Hannover Jürgen Voges

Das erste Dementi kam noch postwendend und von Innenminister Wilfried Hasselmann selbst: „74 Straftäter - das ist ein Wort“, rechtfertigte der neue Innenminister vor dem Landtag die Göttinger Massenfestnahme. „Das ist ein Fehler meinerseits, ich korrigiere mich sofort“, mußte er hinzufügen. Für einen Nichtjuristen sei das alles gar nicht so einfach. Nicht „74 Straftäter“ hatte der Polizeicomputer unter den 414 jungen Leuten ausgemacht, die am 1. Dezember stundenlang von drei Polizeihundertschaften im Göttinger Jugendzentrum „Juzi“ eingeschlossen wurden, sondern lediglich 74 Personen, gegen die die Polizei in irgendeinem Zusammenhang schon einmal ermittelt hatte. Dies war nicht das einzige, was sich bei Innenminister Hasselmanns erstem großen Auftritt als falsch erwies. Der CDU–Landesvorsitzende, privat Herr über ein Gehöft im Cellischen, war erst im Sommer nach der Wahl in sein „Lieblingsressort“ Inneres gewechselt, und die harte Göttinger Linie trägt seine Handschrift: Razzien gegen die Szene hatte sein Ministerium bereits im November im Innenausschuß angekündigt. Doch als Hasselmann vor dem Landtagsplenum die drei rechtlich zu trennenden Polizeimaßnahmen gegen das Göttinger Jugendzentrum, Razzia, ED–Behandlung von 414 jungen Leuten und Durchsuchung, zu vertreten hatte, konnte er sich in allen drei Punkten nur mit Unwahrheiten retten. „Befehlszentrum“! Eine Razzia erlaubt der Paragraph 12 des niedersächsischen Sicherheits– und Ordnungsgesetzes, auf den sich Hasselmann vor dem Landtag bezog, nur an Orten, an denen „erfahrungsgemäß Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Daher behauptete der Innenminister, die „Vielzahl der in Göttingen gemeinschaftlich begangenen Straftaten“ - von der Sachbeschädigung über den Landfriedensbruch bis zur Brandstiftung - werde immer wieder von dem selben Täterkreis verübt, der „konkrete Beziehungen zu dem Jugendzentrum“ habe und sich dort nach solchen Aktionen in der Regel treffe. Zur Untermauerung seiner Vorwürfe zitierte der Minister „Erkenntnisse der Polizei“, wonach „das sogenannte Juzi Befehlszentrale für die Aktionen der Vermummten vom 22. November war“ - an diesem Tag waren in Göttingen 35 Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen. Doch als der CDU–Landesvorsitzende und Oberst der Reserve kurz vor Weihnachten im Innenausschuß über die Göttinger Massenfestnahme zu berichten hatte, war ihm seine „Befehlszentrale“ schon wieder abhanden gekommen. Hasselmann legte dem Ausschuß zwar zwei Din–A4–Blätter unter dem schönen Titel „Das Juzi als Ausgangspunkt von Gefahren und Straftaten“ vor. Doch in der Liste, die ganze elf „Vorfälle“ aus den letzten zwei Jahren verzeichnet, fehlte jene „Scherbendemo“ vom 22.11, und auch auf mehrere Nachfragen konnte Hasselmann seine Story von der „Befehlszentrale“ nicht belegen. Dafür finden sich in der Liste solch gravierende Ereignisse wie die Walpurgisnacht 1985, in der „130 weibliche Personen nach einer Feier im Juzi“ in der Innenstadt „männliche Passanten bedrängten“, oder ein Einsatz der Schutzpolizei im Juzi „wegen ruhestörenden Lärms“, bei dem die „einschreitenden Beamten“ beleidigt und tätlich angegriffen worden seien. Als „Gefahr“ oder „Straftat“ gilt da selbst ein aus Sympathie mit den Göttinger Hausbesetzungen am Juzi aufgehängtes Transparent - Aufschrift: „FC Choas / PSV Schweinsgraben 4:0“ - hat doch im Göttinger „Steinsgraben“ die Polizei ihr Domizil. Fliegender Wechsel der Argumente Alle 414 JUZI–Besucher sind während des Polizeieinsatzes fo tografiert worden. Doch das niedersächsische SOG erlaubt im Zuge einer Razzia eine solche erkennungsdienstliche Maßnahme nur, „wenn andere Möglichkeiten der Identitätsfeststellung mit zumutbaremn Aufwand nicht gegeben sind“. Da aber die meisten Juzi–Besucher sich sehr wohl ausweisen konnten, hatte Hasselmann vor dem Landtag einfach behauptet: „Anhand der mitgeführten Ausweise war die Identität nicht immer zweifelsfrei feststellbar. Es gab auch Ausweise, die verändert und ausgetauscht worden waren.“ Auch hier log der Innenminister. Die Göttinger Kriminalpolizei hatte zur Rechtfertigung der ED–Behandlungen immer nur vage von der Möglichkeit des Austauschs von Ausweisen im Gedränge gesprochen, nie aber behauptet, daß dies auch tatsächlich geschehen sei. „So ist das dem Minister auch nicht gesagt worden“, mußte selbst der Sprecher des Innenministeriums Volker Benke seinen Chef in diesem Punkt dementieren. In der Innenausschußsitzung ließ dann auch Hasselmann die Mär von den im Juzi ausgetauschten oder veränderten Ausweisen fallen und erzählte nur noch davon, daß schließlich im ganzen Bundesgebiet 65.000 falsche Personalausweise im Umlauf seien. Rechtsgrundlage für die ED–Behandlung sollte jetzt nicht mehr das niedersächsische SOG sein, Hasselmanns Beamten erklärten nun, alle 414 JUZI–Besucher seien Beschuldigte im Sinne der Strafprozeßordnung gewesen, bei denen nach § 81d STPO eine ED–Behandlung zulässig sei. Ein Beschuldigter ist derjenige, gegen den die Polizei ein Ermittlungsverfahren eröffnet hat und dieses setzt, so sagt auch der Sprecher des Innenministeriums, „einen individuell zurechenbaren konkreten Tatverdacht voraus“. Anders gesagt, die Polizei hätte für jeden einzelnen der zufällig anwesenden unbekannten Juzi–Besucher angeben müssen, was er oder sie denn jeweils verbrochen haben soll. „Das kann nicht sein, das geht doch nicht“, kommentierte auch Hasselmanns Pressesprecher die Version mit den Beschuldigten. „Ätherpiraten“ auf den Fersen „Außerdem bestand der Verdacht“, so begründete Innenminister Hasselmann vor dem Landtag die Durchsuchung aller Räume des Juzi, „daß sich in dem betreffenden Jugendzentrum ein illegaler Sender befand, der seit längerem den Polizeifunk störte.“ Und recht anschaulich führte er aus: „Interessant ist übrigens, daß wir nachweisen können, daß die Störungen immer an den Tagen aufgehört haben, an denen im Juzi das Licht ausging.“ Im Innenausschuß ergänzte der CDU–Landesvorsitzende noch, nicht nur die Polizei und die Post hätten den im Juzi vermuteten Störsender versucht anzupeilen, selbst die Bundeswehr habe man bei der Sendersuche schließlich um „Technische Amtshilfe“ gebeten. Daraufhin machte die SPD sogleich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vermeintlichen Hilfsdienste der Bundeswehr für die Polizei geltend. Doch Pressesprecher Benke - „Sämtliche Repräsentanten der Bundeswehr riefen hier am nächsten Tag an“ - mußte auch diesmal postwendend seinen Minister berichtigen. Auch der Leiter der Göttinger Schutzpolizei, Polizeidirektor Lothar Will, hat die Störsendersuche ganz anders als Hasselmann in Erinnerung: Schon seit längerem hätten Polizeifahrzeuge häufiger Probleme mit dem Funkverkehr gehabt, wenn sie auf der Göttinger Bürgerstraße am Juzi vorbeige fahren seien. Aber erst als Ende November während einer Demonstration gegen eine CDU–Wahlveranstaltung der Polizeifunk erheblich gestört worden ist, sei die Polizei zu der Überzeugung gelangt, daß in Göttingen ein mobiler Störsender existiere. Doch seit der ergebnislosen Razzia schließt Will nicht mehr aus, daß die Funkstörungen jedenfalls im Bereich des Juzi auch „andere Ursachen haben können“. Eine eher alltägliche Erklärung für die polizeilichen Funkprobleme in dieser Gegend hat der Göttinger Physikprofessor Lauterborn parat, der schräg gegenüber dem Jugendzentrum auf der anderen Straßenseite seinen Arbeitsplatz hat. Die ganze Umgebung sei voll von physikalischen Laboratorien, da stünden Laser, die gezündet würden und gleich bei ihm hinter seinem Institut ein Teilchenbeschleuniger mit großen Transformatorenblöcken und Elektromagneten. „Bei einer solchen Vielzahl von Geräten“ sind für den Physikprofessor „Störungen des Polizeifunks in der Umgebung durchaus vorstellbar.“ Gesucht hat nach dem „mobilen Göttinger Störsender“ weder die Post noch die Bundeswehr. „Diesen Sender“, sagt Polizeidirektor Will, „haben wir nur einmal selbst - während der Demonstration gegen die CDU–Wahlveranstaltung - anzupeilen versucht.“ Mit seiner Bemerkung Über die „Amtshilfe der Bundeswehr“ hatte der Innenminister das Brummen im Polizeifunk mit den Sendungen des „Freien Radios Göttingen“ verwechselt, das - so Polizeidirektor Will - „in der Regel Dienstags ab 19 Uhr auf 100 Megahertz einige Minuten sendet“. Doch auch um diesen Sender aufzuspüren, habe man „nicht die Bundeswehr, sondern lediglich den Bundesgrenzschutz um Amtshilfe gebeten“, allerdings „ohne Erfolg“. „Wenn der Bundes– hört, versteht er eben immer gleich Bundeswehr“, kommentiert einer seiner Mitarbeiter die letzte Fehlleistung des Obersten der Reserve. Dagegen trifft für Pressesprecher Benke diesmal nicht den Minister die Schuld, sondern die im Ausschuß anwesenden Ministerialbeamten: „Die hätten natürlich sofort laut halt schreien müssen, als der Minister anfing, von der Bundeswehr zu reden.“ Doch die Zuarbeiter haben es nicht einfach mit Wilfried Hasselmann. Im Landtag hatte der 62jährige CDU–Landesvorsitzende nicht eine der zahlreichen Zusatzfragen beantwortet, ohne einem der hinter der Regierungsbank plazierten Ministerialbeamten vorher sein Ohr zu leihen. Doch auf dem Weg zum Rednerpult des hohen Hauses waren dem Minister dann offenbar die sorgsam gesuchten richtigen Antworten schon wieder entfallen.

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