Der Grüne Wahlkampf findet im Saale statt

■ Grüner Wahlauftakt in Frankfurter Volksbildungsheim / Schilys unterkühlte Absage an den hessischen Wirtschaftsminister Realpolitischer Unmut draußen vor der Tür / Fischer–Mitarbeiter beklagen Rückgratschwund in der grünen Landtagsgruppe

Aus Frankfurt Heide Platen

Tom Stryck vom Frankfurter Kreisverband der Grünen legt sein Gesicht in bekümmerte Falten. „Immer, wenn das Fernsehen da ist, fallt ihr hinten runter!“, versucht er die Journalistenrunde ganz und gar unzulänglich zu trö sten, die sich am Dienstagabend in der Frankfurter Gaststätte „Dippegucker“ versammelt hat. Wahlkampfauftakt der Grünen in Frankfurt, ein Heimspiel für den realpolitischen Flügel der Partei, soll stattfinden. Die geladenen Podiumsgäste - für die Grünen im Bundestag Otto Schily und Wal traud Schoppe, für die in Hessen die Frauenbeauftragte Marita Haibach und Umweltminister Joschka Fischer - tauchen nicht zum versprochenen Vorgespräch auf. Tom Stryck quält das sichtlich. Endlich erscheint Otto Schily und sagt artig „Guten Abend“, verteilt Seitenhiebe an den Bundesvorstand der Grünen, benörgelt die Wahlplakate und antwortet sodann auf die drängende Frage des Abends. Was wird aus der hessischen rot–grünen Koalition, wenn Wirtschaftsminister Steger den Hanauer Nuklearbetrieben NUKEM/ALKEM eine Betriebsgenehmigung erteilt? Schily gibt sich unterkühlt: „Herr Steger mit seinem bisherigen Verhalten findet nicht meinen Beifall.“ Beifall findet zwei Stunden später und zwei Stockwerke höher im leidlich gefüllten Saal des Volksbildungsheimes Umweltminister Joschka Fischer. „Das Ende“ der Koalition sieht er am Ende des „Experimentes“ für den Fall, daß in Hanau „eine Plutonium– schmiede“ konkret werde. Die reichliche Schar real–politischer Freunde freut sich. „Vielleicht“, sagt ein ministerieller Mitarbeiter, „kommen wir dann mit Anstand aus dem ganzen Mist wieder raus“. Das wäre so richtig mittendrin im von Moderatorin Brigitte Sellach - autonome Frau bei den Grünen im Frankfurter Rathaus Römer - gestellten Thema: „Grüne Regierungsverantwortung“. Aber vom Podium gibt es vorwiegend Wahlkampf. Marita Haibach wünscht sich „am besten erst mal eine reine Frauenregierung“ und „als Schritte darunter“ Antidiskriminierungsgesetze und ein Frauenministerium. Fischer und Schily sinken während dieses Vortrags in sich zusammen. Mit eingezogenen Schultern schluckt Otto Schily später schwer an der Schelte seiner Fraktionskollegin Waltraud Schoppe. Er habe sich auch heute abend wieder bei der Presse schrecklich vorgedrängelt. Sie wirkt dann aber mit ihrem Beitrag zum Sexismus im Bundestag heiter gelassen. Tschernobyl, Frieden, reaktionäre Regierungspolitik sind die Themen von Fischer und Schily. Des Wahlkampfs müde drängen sich die grünen Frankfurter „Realos“ an den Eingängen, vorbei an einer Initiative mit dem Transparent „Rauchen ist Luftverschmutzung“. Die brennende Frage des Vorabends zum möglicherweise anstehenden großen Koalitionskrach in Hessen wird weidlich vor dem Saal erörtert. Die einen schlagen vor, abzuwarten bis zur Bundestagswahl, die anderen, abzuwarten bis zur Landesversammlung der hessischen Grünen am 8. Februar. Abzuwarten gar bis zur Landtagswahl im Herbst und dann erst die Koalition platzen lassen? Nein, das nun doch nicht. Minister–Mitarbeiter klagen über das fehlende Rückgrat der grünen Landtagsgruppe, die wiederum schimpft darauf, daß Umweltminister Fischer sich noch nicht geäußert habe. Genau das hat er aber derweilen auf dem Podium getan. Das Ende des Abends gestaltet - wie in Frankfurt so oft - das halbe Dutzend von der Marxistischen Gruppe (MG). Es stellt die Frage nach der Weltrevolution und der Wählbarkeit Fischers und beantwortet sie, ebenfalls traditionsgemäß, auch gleich selbst. Ersteres ja, das zweite nein. Die Zuhörer antworten durch Verlassen des Saales.