Kämpfe in den Minen mehr als „Stammesfehden“

■ Bei kürzlichen Auseinandersetzungen unter Minenarbeitern Dutzende von Toten / System der Wanderarbeit und Kasernierung von Arbeitern in den Minen sorgen für sozialen Zündstoff / Gesetzgebung Pretorias ist Ursache der vermeintlichen „Stammesfehden“

Von Hans Brandt

Johannesburg (taz) - Es fing alles mit einer ganz normalen Schlägerei an. Da in den Wohnheimen der Wanderarbeiter Homosexualität weit verbreitet ist, ging es dieses Mal nicht um eine Frau, sondern einen Mann. Ein Minenarbeiter hatte versucht, sich an den Freund eines anderen heranzumachen. Der ließ sich das aber nicht gefallen, sondern kämpfte. Das kostete ihm das Leben. Nur - leider gehörte der Tote dem Sotho– Stamm an, das Messer aber befand sich in der Hand eines Xhosa. Bald kämpften Hunderte von Sotho– Kumpeln gegen ebensoviele Xhosas. Bei diesen Auseinandersetzungen auf der President–Steyn– Goldmine 250 Kilometer südwestlich von Johannesburg kamen in den drei Wochen zur Jahreswende 29 Arbeiter ums Leben. Ungewöhnlich sind solche Konflikte allerdings nicht. Diese Woche starben bei „Stammesfehden“ auf der Beatrix–Goldmine acht Kumpel. Fast 4000 Arbeiter gaben daraufhin aus Angst vor weiteren Kämpfen ihren Job auf und gingen nach Hause, zurück in die trostlosen Homelands. Und in der Vaal– Reefs–Mine starben zwischen Ende Oktober und Mitte Dezember letzten Jahres 33 schwarze Minenarbeiter. Vaal–Reefs und President–Steyn gehören zum riesigen, von der Oppenheimer–Familie kontrollierten Anglo–American Konzern. Um sein liberales Image zu reparieren, nahm Anglo in einer Zeitungsanzeige zu den Konflikten Stellung: „Das Unternehmen unterstützt die Ansicht nicht, daß es sich bei den „Stammesfehden“ um ethnische Konflikte handelt: Gewalt entsteht aufgrund zahlreicher Faktoren. Das Unternehmen hat immer versucht, die grundlegenden Ursachen der Spannungen zu minimieren.“ Was aber genau diese Ursachen sind, ist umstritten. Noch heute sprechen die meisten Bergbaukonzerne schulterzuckend von „Stammesfehden“ mit dem Hintergedanken, daß die Schwarzen eben doch noch blutrünstige Barbaren sind. Das ist sicher auch ein Grund dafür, daß es zu solchen Konflikten nur sehr wenige Untersuchungen gibt. Progressive Akademiker tun sich andererseits schwer, überhaupt die Kategorie der „Stammeszugehörigkeit“ anerkennen und anwenden zu müssen. So sagt auch Marcel Golding, Pressesprecher der schwarzen Minenarbeitergewerkschaft NUM: „Die Frage ist, ob das eine adäquate Kategorie ist in einer Situation, in der die herrschenden sozialen Verhältnisse nicht Stammesverhältnisse sind.“ Doch in eine Theorie des Klassenkonflikts läßt sich Stammeszugehörigkeit auch nicht ohne weiteres einordnen. „Irgendwie ist das Stammesdenken auf andere Weise neu entstanden“, sinniert Golding etwas vage. Über eines sind sich jedoch fast alle einig: schuld an den Konflikten ist das Apartheid– System. Selbst Anglo zählt das südafrikanische System der Wanderarbeit und die Behausung der Arbeiter in riesigen Wohnheimen zu den Ursachen der Auseinandersetzungen. Das System der Wanderarbeit ist einer der brutalsten Aspekte der Apartheid, eng verbunden mit den als Arbeitskraftreserven dienenden Homelands. Ein arbeitsloser Homelandbewohner muß sich bei den Rekrutierungsbüros der Minen in den Homelands melden. Hat er Glück, so bekommt er einen Arbeitsvertrag, der in der Regel ein Jahr gültig ist. Er ist also gezwungen, einmal im Jahr ins Homeland zurückzukehren, um den Vertrag zu erneuern. Ohnehin muß er seine Familie im Homeland lassen. Zusammen mit Tausenden anderer Männer wohnt er auf dem Minengelände in riesigen Wohnlagern, nach Stammeszugehörigkeit getrennt. Die Wohnheime sind kaum besser als Gefängnisse. Die Kumpel leben zu 16 in einem Raum. Die Betten sind Zementkojen ohne Matratze. Gegessen wird in Kantinen und das Essen ist entsprechend schlecht. Die Heime sind nicht nur nach Stämmen getrennt, sondern auch streng hierarchisch organisiert. Von der Geschäftsführung angestellte „Stammespolizisten“ schlichten Streitereien, suchen in den Räumen nach Waffen und bewachen die Bar. Ihre „Generäle“ sind die „Indunas“, die auch nach Stammeszugehörigkeit angestellt werden. Selbstverständlich spielt Korruption innerhalb eines solchen Systems eine große Rolle. Wichtigste Freizeitbeschäftigung ist das Trinken, ob in der lagereigenen Bar, oder in illegalen Kneipen in nahegelegenen Townships. Daraus entstehen nicht selten die „Schlägereien der Betrunkenen“, die schon vor fast 100 Jahren in Zeitungen Erwähnung fanden. Auch die wenigen Frauen, die den Arbeitern als Prostituierte zur Verfügung stehen, sind oft Anlaß zu Streitereien. In einer solchen Situation bieten die vertrauten Stammestraditionen, die fast automatische Freundschaft mit Männern derselben Sprachgruppe, die einzige Sicherheit, den einzigen Rückhalt. Das betont auch Dr. Kent McNamara, Autor der 1985 fertiggestellten, bisher einzigen umfassenden Studie zu Auseinandersetzungen in den Minen. Doch oft verstecken sich dahinter auch Konflikte zwischen in– und ausländischen Arbeitern. „Lesotho– Bürger dürfen in Südafrika nur in den Minen oder in der Landwirtschaft arbeiten“, verdeutlicht McNamara. „Die Sotho–Kumpel sind also vollkommen von einer Stelle im Bergbau abhängig.“ Deshalb, so McNamara, sind die Sothos meist gefügiger, bei der Geschäftsleitung beliebter und werden schneller befördert. So nehmen die Spannungen schnell zu zwischen Sothos und einheimischen Xhosas, die ihre Aufstiegschancen blockiert sehen. Solche Konflikte mögen wie „Stammesfehden“ aussehen, der Hintergrund ist jedoch ein politischer, nämlich die Gesetzgebung Pretorias. Der liberale Anglo–Konzern versucht schon seit Jahren, durch die Veränderung der Wohnverhältnisse die Konflikte auf seinen Minen zu reduzieren. So wird beispielsweise versucht, Arbeiter nicht mit Stammesgenossen in einem Raum unterzubringen, sondern mit den Kollegen, die in derselben Gruppe unter Tage arbeiten. McNamara hält das jedoch für wenig effektiv. „Oberflächliche Veränderungen sind nicht halb so wichtig wie das zugrundeliegende System der Wanderarbeit“,sagt er. Zur Abschaffung dieses Systems bedarf es aber grundlegender gesellschaftlicher Veränderung, und dazu fehlt den Bergbaukonzernen der politische Wille. Der Profit leidet ja nicht, sondern eben nur die schwarzen Arbeiter.