Diepgens Suche nach dem Loch in der Mauer

■ Darf er oder darf er nicht? Will er oder will er nicht? - Die Einladung der DDR an Berlins Regierenden Bürgermeister Diepgen (CDU) zur Teilnahme an der 750–Jahr–Feier in Berlin–Ost mischt das politische Klima in der Mauerstadt–West gründlich auf / Auf der Suche nach „Perspektiven für die geteilte Stadt“

Von Benedict Maria Mülder

Berlin (taz) - Hat der DDR– Staatsratsvorsitzende Erich Honecker geahnt, als er sich vor Monaten entschloß, Berlins Regierendes Stadtoberhaupt, Eberhard Diepgen (CDU), zur 750–Jahrfeier des anderen Teils der Halbstadt einzuladen, was die listige Geste alles auslösen würde? Seit seinem Brief an den „Sehr geehrten Herrn Regierenden Bürgermeister“ streiten sich die Sach– und diversen Ideologieverwalter der „Status–Stadt“ nun darüber, ob Diepgen darf oder nicht. Dabei lassen sie sich merkwürdigerweise weder von den Geboten der Höflichkeit leiten, noch von den Sympathien, die Diepgens Weg nach „drüben“ in der Bevölkerung zweifellos hat. Klare Fronten Die Fronten sind auf den ersten Blick leicht auszumachen. Skeptische Alliierte, die aber auch nicht allzuviel innerstädtisches Porzellan zerschlagen wollen, halten sich zur Zeit, so ein Amerikaner, „noch einen Ausweg offen“. Man will Einvernehmen herstellen, keinen Dissens zwischen Senat und „Aufpassern“ produzieren. „Man wird auch keine Katze im Sack kaufen“, lautet die vorsichtige Warnung an den Regierenden und die andere Seite. Bei den „Stahlhelmern“ in der CDU hingegen kommt schon allein der Ge danke an einen höflichen Umgang mit Kommunisten dem Sündenfall gleich (“Man kann doch mit denen keine Sektkelche schwenken.“). Vorneweg verdammte Berlins früherer Innensenator und zukünftiger Bundestagsabgeordneter Heinrich Lummer, der einst viel auf seine libanesischen Gespräche mit der Al Fatah gab, Diepgens Bereitschaft für „souveräne Alleingänge“. Ein Besuch des CDU–Landesvorsitzenden drüben, ließ sich Lummer vernehmen, habe „keine überragende Bedeutung“. Verdeckter Angriff Viel subtiler agiert ein anderer Parteifreund, Justizsenator Rupert Scholz, der schon hin und wieder als Bürgermeister in spe gehandelt wird. Ein offenes Wort der Kritik ist ihm, soweit bekannt, noch nicht über die Lippen gekommen. Als Freund des verdeckten Angriffs weiß er seine guten Kontakte nicht nur zum Korrespondenten, sondern auch zum Stammhaus der Zeitung für Deutschland (FAZ) in Frankfurt zu nutzen. Da darf er, kurz nachdem das Blatt die „Normalisierung a la Diepgen“ gehörig verrissen hat, seine Ideen einer transatlantischen Nato–Universität ausbreiten und nebenbei den Regierungschef daran erinnern, daß die „wertemäßige Auseinandersetzung mit der östlichen Seite“ weitergeht. Wo Diepgen die Konfrontation mit der DDR „tiefer hän gen“ will, sehen ihn unisono Springers Schreiber, die FAZ und auch der liberal–konservative Berliner Tagesspiegel, die Pfade der Tugend verlassen. „Schwammig, gar schwärmerisch“, so der Tagesspiegel, sei Diepgens Umgang mit dem Status der Stadt, seine „Dynamik nach Osten“. Die allzu offenkundig signalisierte Zustimmung zum DDR– Staatsakt berühre auf „gefährliche Weise die Berliner Statusfragen“, mahnt die FAZ. Dabei hat der derartig unter Beschuß geratene Regierende nichts weiter als eine genaue Prüfung der Einladung und ihrer Folgen angekündigt, die bis heute andauert. Weil ihn führende Funktionäre der Partei unterstützen - „Wenns irgendwie geht“, solle er der Einladung folgen, hatte Intimfreund und CDU–Generalsekretär Landowsky öffentlich Stellung bezogen - „gefällt sich die Berliner CDU“ nach Meinung der MoPo (Springers Berliner Morgenpost) „als Musterschüler Egon Bahrs“. Ausverkauf, Anerkennung von Mauer, Schießbefehl und Teilung - klassische Vorwürfe an die Adresse der SPD mußten sich mit einem Mal jene gefallen lassen, die sich der Gunst der Springer– Presse so sicher wähnten. Offenheit und symbolische Schritte Um die Gemüter zu beruhigen, streute man parteiintern die Devise aus, die Sache sei vom Tisch, ein Besuch, zumal nach den Todesschüssen an der Mauer, gestorben. Parallel dazu arbeitete der Regierende an seiner großen „Rede über die Perspektiven für eine geteilte Stadt“. Er polemisierte gegen „Abgrenzung und Stillstand“, forderte „Offenheit und symbolische Schritte“. Seit seinem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Anfang des neuen Jahres in Bonn wissen auch die von Diepgen kritisierten Verfechter des „Status quo–Minus“, daß er gewillt ist, die Einladung anzunehmen. „Wir wollen drüben demonstrieren, daß die Stadt zusammengehört, wollen für die Bürger was herausholen“, heißt es im Rathaus Schöneberg, und der Regierende wird mit den Worten zitiert: „Man muß die Mauer unbedeutend machen, wenn man sie nicht beseitigen kann.“ Keinesfalls will man sich aber Naivität gegenüber gewieften Kommunisten vorwerfen lassen. Als Voraussetzung für die Annahme der Einladung wird die Erfüllung eines ganzen Kataloges nicht nur protokollarischer Forderungen genannt. Das geht von Reiseerleichterungen über den Gewässerschutz bis zur Luftreinhaltung. Auf keinen Fall will man es der DDR außerdem gestatten, aus dem Besuch Honig für die von ihre gepflegte Drei–Staaten– Theorie zu saugen. Offiziere der Nationalen Volksarmee (NVA) sollen während des Staatsaktes nicht anwe send sein, wegen des entmilitarisierten Status Ost–Berlins keine Aufmärsche der NVA stattfinden. Diepgen möchte sich zudem nicht eingereiht finden bei den Staatspräsidenten, etwa aus Afghanistan oder Algerien, sondern lieber in Begleitung von Baden–Württembergs Ministerpräsidenten Späth oder dem Leiter der Ständigen Vertretung in Ost–Berlin „Öffnung und Dialogfähigkeit“ demonstrieren. Hilfe vom Reformflügel Unterstützung findet Diepgen in der von Landowsky geführten Beton–Riege, deren Kind Diepgen ist (“Der Status der Stadt ist weder Zement noch Beton.“), aber auch bei Teilen des Reformflügels. Der war bislang sein schärfster innerparteilicher Gegner. „Reformer“ warfen Diepgen wiederholt einen zu laxen Umgang mit den Sumpfblüten - vom verurteilten Ex– Stadtrat Antes bis zum inhaftierten Ex–Staatssekretär Schackow - vor. „Reformer“ wie der Abgeordnete Lehmann–Brauns wandten sich gegen die „Abgrenzungstheologen“ und setzten in Diepgen die Hoffnung, daß er „Bewegung, die schrittweise Überwindung der Spaltung Berlins“ bringe. Ein Besuch könne dazu beitragen, vorhandene Spielräume auszubauen. Daß sich mit den neugewonnen „außenpolitischen Spielräumen“ aber auch Diepgens innerparteilicher Radius erweitert, stößt indes nicht auf ungeteilte Zustimmung. Man begegnet der neuen Politik des ehemaligen kalten Kriegers mit Skepsis und hat dafür rasch das Etikett taktischer Winkelzüge parat. Tatsächlich hat nämlich Diepgen begriffen, daß eine Partei, die sich metropolitan und großstädtisch gibt, dies nicht auf der Basis altkonservativen Antikommunismus tun kann. Das bekäme einer erfolgreichen 750–Jahrfeier schlecht, wäre Gift für jede liberale Kulturpolitik und nützte schon gar nicht den Beziehungen zur DDR. Will die Berliner CDU auf diesen Feldern reussieren, und nur diese bleiben neben der Ansiedlung von Computerindustrie, haben ihre Repräsentanten gar keine andere Wahl als die Einladung anzunehmen und für eine dynamische Berlin–Politik zu plädieren. Eine andere Erklärung für die sanfte Berlin–Politik des Chefs kommt aus der Tiefe des Bauches der Berliner CDU: „Ganz klar, daß der Osten um Diepgens Geschichte weiß. Nirgends sonst werden Akten so sorgfältig geführt“, faßt ein langjähriges CDU–Mitglied vom altrechten Flügel in eine schwelende Wunde. Gemeint sind die in der Vergangenheit behaupteten, aber noch nie bewiesenen Verstrickungen naher Mitarbeiter des heutigen Regierenden in ein kriminelles Milieu, das auch mit Fluchthilfe zu tun hatte. Was immer es damit auf sich hat, wahr ist, daß der Weg nach drüben für Diepgen leichter ist, als den Sumpf trockenzulegen.