Beim Begräbnis endgültig zu Tode geredet

■ In Rom wurde Renato Guttuso, der Maler des „sozialkritischen Realismus“, beerdigt / Italiens Prominenz überbot sich am Grab des Künstlers in Lobreden auf den „Streiter für Frieden und Freiheit“, der zeitlebens der PCI treu geblieben war

Aus Rom Werner Raith

„Pappi“, fragt das Mädchen neben mir auf dem Platz vor dem Pantheon, „wenn der Pfarrer zu Ende geredet hat, gehen wir dann? Ich hab kalte Füße.“ Der Pappi zieht sein rotes Halstuch enger, beugt sich hinunter. „Das ist kein Pfarrer“, zischt er, „das ist Alessandro Natta.“ Er ist es, der Generalsekretär der italienischen Kommunisten; sein fast schon sprichwörtlicher Pastorenton ist noch um einiges feierlicher, getragener: Er hat „einen der wichtigsten Männer dieses Jahrhunderts“ zu würdigen, der „die Wechselfälle unserer Zeit zutiefst erlebt und durchlitten hat“, den „Maler von Gramscis Beerdigung“, „den unermüdlichen Streiter für Frieden und Freiheit“. Renato Guttuso, 74, Hauptvertreter des sogenannten „sozialkritischen Realismus“ ist am Sonntagmorgen gestorben - einer der ganz wenigen Intellektuellen, die dem PCI ihr Leben lang treu blieben. Kein Zornigel wie Pier Paolo Pasolini, den der PCI 1948 ausschloß und erst posthum wieder aufnahm, kein naserümpfender Musikus wie Luigi Nono, dem die Sozialdemokratisierung nicht paßt; kein Linksabweichler wie die Publizistin Rossana Rossanda mit ihrer „Manifesto“–Gruppe. Guttuso gefiel allen Doch nicht nur das PCI–Zen tralkomitee war stets mit ihm zufrieden. Der Maler der „Erschiessung auf dem Feld“ (die Ermordung Garcia Lorcas), der „Landbesetzung in Sizilien“, der „Kreuzigung“ (Vorahnung des Zweiten Weltkrieges), des „Gott mit uns“ (der „Resistenza“ gewidmet) gefiel allen, den Sozialisten, den Republikanern, den Katholiken und den Atheisten; der konservative Corriere della sera wetteifert mit der PCI–Zeitung LUnita, wer dem Genie mehr Artikel und Nachrufseiten widmet. Aufgebahrt wurde Guttuso im Senat (dem er, für den PCI, zwei Legislaturperioden angehörte), gewürdigt wurde er vor dem römischen Pantheon (dem heidnischen Tempel, „allen Göttern“ gewidmet) und danach in Santa Maria sopra Minerva. Der christdemokratische Staatspräsident Cossiga war einer der ersten am Sarg, der sozialistische Ministerpräsident Bettino Craxi stand ergriffen bei der Pantheon–Feier neben Senatspräsident Fanfani (DC) und Kammerpräsidentin Jotti (PCI). Schweigend, hieß es, wolle man den Großen ehren; aber drei Reden mußten es dann doch sein - unsägliche. Außer den politischen Nullformeln von PCI–Chef Natta tönten aus dem Mund des Erzkatholiken Carlo Bo, der Ausgewogenheit halber, Kunstkritiker– Phrasen über den Platz: „Sein Werk war, jenseits seiner wunderbaren Bilder und herrlichen Figuren, Ergebnis eines Dialogs, den er seit Jahren mit der Wirklichkeit führte.“ Und dann der Dichter– Papst Alberto Moravia, von dem wahrlich besseres zu erwarten war: ihm fiel nur ein, daß „wenn ein Künstler stirbt, eine ganze Welt stirbt, die Welt, die er erschaffen hat - und Guttuso war ein Künstler“; mit den Armen, die er gemalt hat, den Fliehenden, den Nackten stirbt wohl keine Welt. Rückzug vom Realismus Vielleicht waren solche Vorkehrungen auch der Grund, warum sich Guttuso in den letzten Jahren immer mehr vom politischen Links–Realismus zurückgezogen hat. Schrottautos und niedrigfliegenden Jets tauchten auf, nackte Frauenkörper im Gegen– Blendlicht (“spes contras spem“), immer öfter kehrte Stille ein: Eines seiner letzten großen Bilder zeigt einen dahinschleichenden Tiger auf einem bedrückend leeren Platz vor düsterem Hintergrund: „Besuch am Abend“. Der PCI–Pappi neben mir hebt sein Kind nochmal hoch, ehe die Ehrengäste in die Kirche trappsen. Es darf nochmal das Bild Guttusos sehen, das da getragen wird, die PCI–Fahnen neben der des Staatspräsidenten. Dann schliessen sich die Portale. Denn das Volk, das Guttuso gemalt hat - „ich versuche die Wirklichkeit zu kopieren“ - das bleibt gefälligst draußen, während drinnen der brave Vorzeige–Künstler endgültig zu Tode geredet wird.