Atemberaubend

■ Dicke Luft in Deutschland

Die Auto– und Kraftwerksindustrie, die Zimmer– und Wallmänner haben es uns eingebleut: dank Katalysator, strengen Gesetzen und umweltfreundlicher Kernenergie wird die Luft immer besser. Im Grunde ist Deutschland seit der Wende ein einziges Kurgebiet. Doch ausgerechnet eine Woche vor dem Schicksalssonntag ziehen düstere Smogwolken herauf. Wo können die nur herkommen? Der hessische Umweltminister weiß es: Nicht die Industrie, sondern „die Wetterlage“ ist schuld an Smog und hustenden Kleinkindern. So jedenfalls die von seinem Ministerium verbreitete Rundfunkmeldung. Der Smog hat längst etwas Naturgesetzliches: er kommt winters alle Jahre wieder und er hat ähnlich wie das Island–Tief oder das Azoren–Hoch Eingang in die Wettervorhersagen gefunden. Er ist uns zwangläufig zugewachsen, und wir müssen lernen, mit ihm zu leben. Dabei sind uns die diversen Smogverordnungen der Länder behilflich. Sie sind nicht dazu da, um den Smog zu beseitigen, sondern um ihn durch Mittel– und Grenzwerte arithmetisch zu nivellieren und durch Appelle und zarte Eingriffe soweit abzumildern, daß die Gesundheitsschäden auf ein unauffälliges Maß reduziert werden. Die Smogverordnungen sind jeweils so abzufassen, daß die Bevölkerung höchstens zwei– bis dreimal im Jahr aus ihrer Narkose geweckt werden muß. Immerhin ist es nur gerecht, daß sich das Lebens–Mittel Luft ausgerechnet in der Wahlwoche schwarz und stinkend präsentiert - analog zum Wahlergebnis. Der Wähler muß an die Urne, fordern die Parteien. Bei den heutigen Luftverhältnissen kommt er wohl eher in die Urne. Manfred Kriener