Rot–Grüne Koalitionskrise im Krebsgang

■ In Hessen schwindet die rot–grüne Mehrheit dahin / Ein Bericht von Klaus–Peter Klingelschmitt

Hat die hessische SPD mit dem Angebot, eine eingeschränkte Produktionsweise für die Hanauer Plutoniumfabrik ALKEM befristet zu genehmigen, nun die Koalitionsvereinbarungen verletzt oder nicht? Nachdem die hessischen Landtagsgrünen erst einmal ein paar Tage benötigen, um den Coup von Wirtschaftsminister Steger zu analysieren, bricht nun der interne Streit aus. Der Atomexperte der Fraktion, Franz Jakob, will nicht mehr mitspielen. Damit schrumpft die rot–grüne Mehrheit auf zwei Stimmen.

In der Chefetage der Hanauer Plutoniumfabrik ALKEM trafen sich in der vergangenen Woche die Atom–Manager der Brennelementeschmiede NUKEM und der Kraftwerk Union (KWU), denen die ALKEM gehört (NUKEM 40). Einziges Thema: die von Hessens Wirtschaftsminister Ulrich Steger vorangekündigte Nichtgenehmigung des ALKEM–Antrags auf Einbunkerung und Verarbeitung von 6,7 Tonnen Plutonium und die Aufforderung des Ministers an die ALKEM, die fortlaufende Produktion zehn Jahre lang auf schwach–plutoniumhaltige MOX–Brennelemente zu beschränken. Als die Manager nach sechs Plauderstunden gutgelaunt die Konferenzsuite in Hanau– Wolfgang verließen, schlug endlich die Stunde von ALKEM/ RBU–Pressesprecher Dr. Rainer Jend. Der durfte den gespannt auf Nachrichten aus dem ALKEM– „Bunker“ wartenden Journalisten nämlich genüßlich mitteilen, daß die Geschäftsleitung der Plutoniumfabrik beschlossen habe, nichts mitzuteilen. Ende der Durchsage. In der Tat läuft es für die Betreiber der Hanauer Nuklearbetriebe, insbesondere für die ALKEM– Bosse optimal. Ihr Mann in Wiesbaden, Dr. Ulrich Steger (SPD), hat ihnen mit seinen vorangekün digten Genehmigungsauflagen, die Wünsche von den profitgierigen Augen abgelesen, denn die hochangereicherten Plutoniumbrennstäbe für den Schnellen Brüter in Kalkar, deren Weiterproduktion über den vorgelegten 6,7–Tonnen–Antrag sichergestellt werden sollte, die hat man in Hanau längst im Sack (siehe auch taz vom 14.1.). Mit den schwachangereicherten MOX–Brennelementen, deren Produktion Steger für die nächsten zehn Jahre genehmigen will, kann die ALKEM - die demnächst auch einen neuen, „unbelasteten“ Namen bekommen soll (Gründung einer Holding) - dagegen munter auf dem Brennelementemarkt für Leichtwasserreaktoren mitmischen. Und diese Leichtwasserreaktoren, die laufen auch bei den „ungünstigsten“ politischen Konstellationen in Bonn noch mindestens zehn Jahre - nach dem Willen von Johannes Rau. Grüne Spätzündung Und noch aus einem anderen Grund reiben sich die Atom–Mafiosi in Hanau die Hände. Zwar mit „Spätzündung“, aber dafür um so heftiger, ist in Wiesbaden der politische Streit zwischen den Koalitionsparteien und selbst innerhalb der Grünen–Landtagsgruppe entbrannt. Ausgerechnet der Atomexperte der Grünen– Fraktion, Franz Jakob, der vor jahresfrist nicht rotierte, weil seine Nachrückerin, Marion Papazek, als unsichere Kantonistin im bezug auf die Koalition galt, hat jetzt angekündigt, das „Zeitspielchen“ nicht mehr länger mitmachen zu wollen. Nach seiner Auffassung sind Steger und Börner „mit voller Absicht in den Plutonium–Staat eingefahren“, weswegen für ihn persönlich die Koalition beendet ist. Er werde zukünftig zusammen mit Jan Kuhnert der rot–grünen Mehrheit die Stimme verweigern. Die Koalitionsparteien SPD und Grüne würden dann nur noch über die hauchdünne Landtagsmehrheit von zwei Sitzen verfügen. Zu wenig für eine solide Politik, denn auch in der SPD–Fraktion sitzen unsichere Kantonisten, was sich bei diversen, geheimen Abstimmungen der Vergangenheit gezeigt hat. Für einen „Frontenwechsel“ des Atomexperten Franz Jakob besteht nach Meinung des Grünen–Umweltministers Fischer noch kein Anlaß. Nach dessen Interpretation seien nämlich durch die von Wirtschaftsminister Steger vorangekündigten Genehmigungsauflagen für die ALKEM noch keine Fakten geschaffen worden. Fakt sei zunächst nur, daß Steger dem ALKEM–Antrag in der vorliegenden Form die Ge nehmigung versagt habe, „und das finden wir in Ordnung“ (Fischer). Jetzt sei erst einmal Bundesumweltminister Wallmann am Zug, der von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen könne, „oder auch nicht“. Politpoker Bonn - Wiesbaden Sollte Wallmann den hessischen Wirtschaftsminister anweisen, den ALKEM–Antrag in der vorgelegten Form zu genehmigen, sei die Staatskanzlei gefordert, meinte Fischer weiter. Wie von Holger Börner vor dem Landtag angekündigt, habe das Land Hessen dann Verfassungsklage gegen diese Bonner Anweisung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzureichen, ein Verfahren, das sich monatelang hinziehen könne. Ob diese eventuelle Klage Hessens allerdings in bezug auf den ALKEM–Antrag aufschiebende Wirkung hat, darüber streiten sich die Juristen in Wiesbaden noch. Doch ob sich die SPD–geführte Landesregierung überhaupt auf den Verfassungsstreit mit der Zentralregierung in Bonn einlassen wird, bezweifeln nicht nur die Atom–Experten des Öko–Instituts in Hanau, Michael Sailer und Lothar Hahn, die beide der rot–grünen Atom–Verhandlungskommission des Jahres 1985 angehörten. Zwar habe Ministerpräsident Holger Börner noch im November vor dem Landtag diesen „Gang nach Karlsruhe“ in Erwägung gezogen, doch sein Minister Steger habe ihm auf dem Weg nach Nordbaden bereits turmhohe Barrikaden aufgebaut. Denn mit der Vorankündigung einer auf zehn Jahre befristeten Genehmigung zur Verarbeitung und Lagerung von 460 Kg Plutonium habe Steger „bewußt“ (Sailer) gegen das Atomgesetz verstoßen, das eine befristete Genehmigung nicht vorsehe. Da Steger mit der angekündigten Genehmigung des bisherigen Produktionsumfanges der ALKEM (460 Kg) darüber hinaus die „Aufrechterhaltung der Plutoniumwirtschaft“ garantiere, werde eine Argumentation gegen den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft - vorgetragen vor den Verfassungsrichtern - mehr als „unglaubwürdig“. Bislang hat Bundesumweltminister Walter Wallmann mit seinem Weisungsrecht allerdings nur gedroht. Der Frankfurter Ex–OB verwies während einer Pressekonferenz am vergangenen Montag jedoch darauf, daß es Absprachen zwischen seiner Behörde, dem hessischen Wirtschaftsminister und der ALKEM gegeben habe, wonach Steger der Plutoniumfabrik die Verarbeitung und Lagerung von 2,5 Tonnen Plutonium habe gestatten sollen. Diese „Behauptung“ Wallmanns wurde inzwischen vom Leiter des Stegerschen Ministerbüros, Reinhard Raack, zurückgewiesen. Eine solche Absprache, so Raack gegenüber der taz, habe es „nie gegeben“. Raack: „Das wäre ja auch völlig unsinnig. Es kann in diesem Verfahren nur um die von der ALKEM beantragten 6,7 Tonnen oder um die von uns für genehmigungsfähig erachteten 460 Kg Plutonium gehen.“ Leck im „Doppelvierer“? Darüber hinaus wies Raack darauf hin, daß sich Steger mit der Zurückweisung des ALKEM–Antrags und mit den vorangekündigten Genehmigungsauflagen (460 Kg und Herstellung von schwach– plutoniumhaltigen MOX–Brennelementen) durchaus im Einklang mit den Koalitionsabsprachen befinde, von einem Bruch könne bei genauem Hinsehen jedenfalls keine Rede sein. In der Tat schließt der Bericht der „Arbeitsgruppe Hessische Atomenergiepolitik“, der Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen wurde, eine Genehmigung für die Plutoniumfabrik ALKEM nicht grundsätzlich aus. Allerdings hatten die Wissenschaftler der Landesregierung seinerzeit die „intensive Prüfung“ diverser Problemkreise im Zusammenhang mit dem vorliegenden ALKEM–Antrag empfohlen. Das hessische Wirtschaftsministerium, so Raack, sei - „nach der intensiven Prüfung aller von der Kommission benannten Punkte“ - zu der Auffassung gelangt, daß von dem im Kommissionsbericht angesprochenen „Versagensermessen“ der Aufsichtsbehörde Gebrauch zu machen sei. Raack: „Genau das haben wir getan. Mit den von uns angekündigten Auflagen haben wir die Plutoniumverarbeitung der ALKEM qualitativ, quantitativ und zeitlich eingeschränkt und damit den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft auf der großtechnologischen Basis verhindert.“ Raack erklärte weiter, daß die ALKEM insbesondere durch die zeitliche Befristung ein „auslaufendes Modell“ geworden sei. Daß jetzt ausgerechnet von den Grünen Kritik an dieser zeitlichen Befristung gekommen sei, habe ihn sehr gewundert: „Sollen wir etwa unbefristet genehmigen?“ Daß die Aufsichtsbehörde den ALKEM–Antrag - wie von den Grünen gefordert - nicht generell zurückweisen konnte, habe, so Raack, am sogenannten Kalkar– Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelegen. Die Richter in den roten Roben hätten 1984 entschieden, daß die ALKEM auf der Basis der Umgangsmenge von 460 Kg plutoniumhaltige Brennelemente herstellen dürfe. Damit, so Raack, habe die ALKEM einen „nicht schlagbaren“ Rechtstitel in der Hand, der den Gang nach Karlsruhe - auf der Basis eines völligen Verbotes - unmöglich gemacht hätte. Verwirrung komplett „Alles Quatsch“, meint dagegen Michael Sailer vom Öko–Institut. Da die ALKEM die Brennelemente für den Schnellen Brüter in Kalkar längst fertiggestellt habe und der Reaktor - „mit größter Wahrscheinlickeit“ - nicht ans Netz gehen werde, habe sich das Kalkar–Urteil des BVG längst erledigt. Sailer: „Bei Steger hats einfach am fehlenden politischen Willen gelegen, nicht am Kalkar– Urteil.“ Für die hessischen Grünen ist das ALKEM–Verwirrspiel inzwischen zum politischen Hazardspiel geworden, dessen ungeschriebene „Spielregeln“ nur noch von Atomexperten und Verfassungsjuristen durchschaut werden. Beim derzeitigen Stand der Dinge kann der „Juniorpartner“ sich nur dann ausreichend tiefe Startlöcher für die Hessenwahl im Herbst dieses Jahres „graben“, wenn er eine klare Linie fährt, die von der Basis nachvollzogen werden kann. Sollte es - nach dem Landesparteitag der Grünen am 8.Februar - tatsächlich in Wiesbaden zum Koalitionsbruch „wg. ALKEM“ kommen, wird die SPD alles daransetzen, den Grünen die Alleinschuld für diesen Bruch in die Schuhe zu schieben.