I N T E R V I E W „Ein Zustand des Verfassungsbruchs“

■ Peter Haushalter, Mitglied der Interessengemeinschaft für saubere Luft Berlin, über Smog sowie den Sinn und Nutzen der sogenannten Smogverordnungen und -warnmaßnahmen

taz: Was regt dich am allwinterlichen Smogalarm und seiner dramaturgischen Abwicklung in den Umweltministerien der Länder am meisten auf? Peter Haushalter*: Ich habe den Eindruck, daß an den eigentlichen Problemen vorbeigedacht wird. Es gibt eine Fixierung darauf, welche Smog–Warnmaßnahmen stattfinden, welche Alarmstufen bei welchen Grenzwerten ausgerufen werden, aber niemand redet mehr darüber, warum wir Smog haben. Smog ist die amtliche gemessene Bestätigung für das Versagen der Luftreinhaltepolitik. Und hier meine ich West und Ost. Gerade jetzt vor der Bundestagswahl denke ich, daß die derzeit atemberaubenden Luftwerte eigentlich eine Wahlhilfe für die Grünen sein müßten, denn deutlicher kann man das Fiasko staatlicher Umweltpolitik den Wählern, denen eine atembare Luft als Existenzminimum nicht mehr garantiert wird, eigentlich gar nicht darstellen. Es gibt ein Recht auf körperliche Unversehrtheit ... .. und es gibt ein Bundesimmissionsschutzgesetz, das zwingend vorschreibt, daß Menschen, Tiere und Pflanzen vor Schadstoffen in der Luft geschützt werden. Und dies nicht nur im Rahmen von aktueller Gefahrenabwehr, sondern auch als Vorsorge–Prinzip. Rein rechtlich dürfte es also gar nicht zu Smogsituationen kommen. Bei uns wird der Smog immer mit den meteorologischen Rahmenbedingungen erklärt, aber wenn wir in den Ballungsgebieten keinen Schadstoff–Ausstoß und keine Schadstoff–Verfrachtung hätten, dann hätten wir auch keinen Smog. Smog ist also ein Zustand des permanenten Gesetzes– und Verfassungsbruchs, wenn man das Recht auf körperliche Unversehrtheit ernst nimmt. Überspitzt gesagt: Jeder Atemzug ist ein Verfassungsbruch. Wie beurteilst du die Grenzwerte–Diskussion und die Rechnereien mit sogenannten Gewichtungsfaktoren und arithmetischen Mittelwerten? Dazu muß man sich mal genauer die Smogverordnungen ansehen. Genau genommen heißen sie Verordnungen zur „Verminderung von Umwelteinwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen“. Die Grundlagen der neun Smogverordnungen der Länder (Bremen und Schleswig–Holstein haben ja immer noch keine) ist ein Gutachten des Lufthygienikers Prof. Schlipköter. Der hatte 1984 eine Arbeit zum Smogwarndienst vorgelegt, wonach die Smogalarm–Planung eigentlich nur gewährleisten soll, daß die Anzahl zusätzlicher Todesfälle durch die Luftverschmutzung rechnerisch nicht höher liegt als bei zehn Toten pro eine Million Einwohner. Das heißt, eine erhöhte Sterberate wird bei den gegenwärtigen Grenzwerten wissentlich in Kauf genommen. Wenn man sich dagegen an der medizinisch eigentlich erforderlichen Grenze der Luftverschmutzung orientieren würde, dann hätten wir im Winter sehr häufig Smogalarm, und es müßten viel gravierendere Maßnahmen ergriffen werden. Die Reaktionen auf Smog sind sehr unterschiedlich. Kleinkinder sind bekanntlich besonders empfindlich und die Pinguine im Berliner Zoo reagieren z.B. schon auf 0,1 Milligramm SO2. Das ist richtig. Für die Nadelgehölze, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist der derzeitige Grenzwert von 0,6 Milligramm ebenfalls viel zu hoch. Die deutschen Smogverordnungen sind also gezielte Sterbehilfen für den Wald. Aber vor allem die Risikogruppen, also Kleinkinder, Alte und Kranke, werden durch die gegenwärtigen Smogverordnungen nur unzureichend geschützt. Die TU Berlin hat schon 1983 eine Untersuchung von Palamedis/Jahn vorgelegt, in der nachgewiesen wird, daß nach Tagen mit einer Schwefeldioxid–Belastung von bereits 0,3 mg die vergleichbaren Werten gehen aber in die Hunderte. Eure taz wird im Wedding produziert. In diesem Berliner Bezirk gab es im Zeitraum von 1976 bis 1983 mehr als 300 Tage, an denen die Luftverschmutzung oberhalb von 0,3 mg Schwefeldioxid lag. Grenzwerte sind nichts anderes als ein Kompromiß zwischen Gewerbefreiheit und gesundheitlichen Risiken, der bei uns deutlich zugunsten der Gewerbefreiheit entschieden wurde. Du forderst also eine Grenzwertverschärfung. Das kann aber nicht ausreichen? Ich habe ja eingangs gesagt, daß wir keine Smog–Verordnungen brauchten, wenn wir eine Luftreinhaltung hätten. Solange die Luftreinhaltung nicht umgesetzt ist, brauchen wir Alarmpläne, auch wenn sie nur Stückwerk sind. Wir brauchen sie genauso, wie du bei Grippe das Fieberthermometer brauchst. Und die Verordnungen müssen so verschärft und an den medizinischen Erfordernissen orientiert werden, daß sich die Alarme häufen, damit noch mehr Menschen wach werden. Trotzdem gilt: Wir brauchen keine optimalen Smogverordnungen sondern eine saubere Luft. Interview: Manfred Kriener *Peter Haushalter, Mitkläger für das Recht auf saubere Luft und körperliche Unversehrtheit vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin