Schwarz wie Schnee...

■ Alarm aus dem Musterländle: Mit dem Smog kommt der Dreck runter, der Schnee wird schwarz / Schnee gefiltert - Filterpapier wurde schwarz / Emissionen im Schnee gut sichtbar / Schadstoffschub nach Schneeschmelze erwartet

Berlin (taz) - Ein zarter Nord–Ostwind strich in den letzten Tagen über das Musterländle zwischen Reutlingen und Tuttlingen, danach war die Landschaft die längste Zeit winterlich weiß gewesen. Ängstliche Mütter reißen ihre Kinder hoch, kurz bevor sie am Schneemann knabbern. Kommunale Wasserversorger bangen der Schneeschmelze entgegen. Der Schnee ist schwarz. Der ganze Dreck aus der verpesteten Luft hat das Unschuldskleid der Winterlandschaft besudelt. Ulf Classen, Videokünstler aus Neuhausen, gestaltet ein zeitgemäßes Öko–Happening. Er füllt ein Töpfchen Schnee in seine Kaffeemaschine und fotografiert den schwarz–gefärbten Filter. Was unten rausläuft, sieht nicht gerade gereinigt aus. „Eine trüb–graue Brühe ist das. Da schwimmt noch vieles drin, was wir so nicht analysieren können.“ Bessere Möglichkeiten hat Dr. Jäger vom Tübinger Chemischen Institut für Umwelt. „Der Schadstoff sammelt sich im Schnee, dadurch kann man jetzt die Emissionen aus der Luft besonders gut sichtbar machen.“ In der Tat, die Dreckschleudern der näheren und weiteren Umgebung, Hauskamine, Autos oder Industrieschlote haben ihre Fingerabdrücke in der ländlich–lieblichen, anscheinenend so Smog–unverdächtigen Gegend hinterlassen. Ruß, Schwermetalle wie Zink und Blei und verschiedene Säuren hat Dr. Jäger bis jetzt gefunden. Die Schwefelsäure–Konzentration ist auf das 12– bis 14fache angestiegen, der PH–Wert von 4,2 auf 3,4 gefallen (Zitronensaft hat 3!). „Wenn die Schneeschmelze kommt, kriegen wir einen enormen Schadstoff–Schub“, warnt Jäger, ohne daß sich die Behörden dadurch bisher zu irgendwelchen Maßnahmen hätten hinreißen lassen. Öko–Skandal am Fuße der Schwäbischen Alb? „Ach, wissen Sie, das ist doch überall im Bundesgebiet so, daß sich der Smog jetzt im Schnee absetzt“, meint Jäger, „nur haben wir das hier eben mal genauer unter die Lupe genommen“. Immerhin verbreiten die Agenturen seine Warnung an die Kinder der Nation, von der „oralen Aufnahme von Schnee“ abzusehen. „Was besonders interessant an den Sensationsmeldungen vom schwarzen Schnee in unserer Gegend ist“, sinniert Ursula Gass, Redakteurin beim Tuttlinger Gränzboten, „ist die Tatsache, daß man sich immer nur Gedanken um die Ballungsgebiete und größeren Städte macht. Hier im Tuttlinger Raum gibt es doch weder Messungen noch irgendwelche Smog–Alarm–Pläne“. Der Schnee bringt es an den Tag. Imma Harms Alles über den Smog auf Seite 9