Bundesregierung spielt auf Zeit

■ Angeblich erste Kontakte in Beirut / Auslieferung Hamadehs an USA wird verzögert

Zeit gewinnen, Zeit gewinnen, Zeit gewinnen ist das Motto sämtlicher in Bonn anberaumter Krisensitzungen in unterschiedlicher Zusammensetzung. Da bislang noch immer keine endgültige Klarheit über die Entführer des Hoechst–Managers Cordes und des Siemens–Technikers Schmidt herrscht, versucht die Bundesregierung über den Repräsentanten eines englischen Bischofs, Terry Waite, in Beirut, Kontakte zu potentiell verantwortlichen Organisationen herzustellen.

„Eine Auslieferung Hamadehs, so der Sprecher der hessischen Generalstaatsanwaltschaft, Hans– Hermann Eckert, kann noch Monate dauern.“ In der letzten Woche schien sich eine Auslieferung des in Frankfurt festgenommenen mutmaßlichen Flugzeugentführers Hamadeh nur noch durch die US–Justiz zu verzögern. Man prüfte in Washington Umge hungsmöglichkeiten einer gemäß deutsch–amerikanischem Auslieferungsvertrag festgelegten Garantie, auf eine Todesstrafe zu verzichten. Inzwischen ist das formelle Auslieferungsersuchen aus Washington samt Zusage, auf eine Todesstrafe zu verzichten, unerwartet schnell eingegangen, das Verfahren gegen Hamadeh in den USA zur Beschleunigung des Auslieferungsvorgangs darüber hinaus bereits wiedereröffnet. US– Justizminister Meese hat in den vergangenen Tagen ein überragendes Interesse an Hamadeh deutlich gemacht: „Er muß sich verantworten und soll sehen, wie ihm hier aufgespielt wird.“ Nach der Entführung Cordes ergeben sich aber bei der deutschen Justiz unterwartete Probleme. Die Unterlagen aus Washington, so der Sprecher der mit dem Fall Hamadeh befaßten hessischen Staatsanwaltschaft in Frankfurt, Hans–Hermann Eckert, lägen noch beim Justizministerium in Bonn. Der Vorgang werde nur an die hessische Staatsanwaltschaft weitergegeben, wenn alles seine Richtigkeit habe. Allein die juristische Prüfung durch die hessischen Staatsanwälte könne Wochen in Anspruch nehmen, so Eckert. Die Staatsanwaltschaft müßte darüber hinaus auf eine Aufnahme des Verfahrens wegen unerlaubten Besitzes von Sprengstoff und Beihilfe zu versuchten Sprengstoffvergehen in der Bundesrepublik Deutschland verzichten. Das Ergebnis dieser akribischen Rechtsprüfung ginge dann ans Oberlandesgericht, das die förmliche Auslieferungshaft verhängen müsse. Dazu müsse Hamadeh noch gehört werden, der Einwendungen gegen die Auslieferungshaft erheben könne. Ausschlaggebend für die Dauer des Verfahrens, so Eckert, sei dann, welche Einwände Hamadeh erhebe. Am Ende müsse dann wieder die Bundesregierung entscheiden, da das Oberlandesgericht nur die rechtlichen Vorgänge prüfe und die Vorgänge im Libanon unberücksichtigt lassen müßte. Auch die Entführer des Hoechst–Managers, so berichtet Die Welt, hätten der Bundesregierung in einem über einen Mittelsmann weitergegebenen Schreiben kein zeitlich befristetes Ultimatum gestellt. Schiitische Geiselnehmer haben gegenüber anderen Regierungen bereits Langmut bewiesen und ihre Opfer monatelang in Todesangst gelassen. So befinden sich seit Monaten fünf französische Staatsbürger als Geiseln im Libanon. Die Verhandlungen über ihre Freilassung erfolgen so diskret, daß in der französischen Öffentlichkeit bereits der Vorwurf auftauchte, die Regierung kümmere sich zu wenig darum. Als im September des vergangenen Jahres in Paris eine Reihe Attentate verübt wurden, die mit jedem Mal mehr Opfer forderten, reagierte die französische Regierung mit Härte. Zu den Anschlägen bekannte sich eine Gruppe, die unter anderem die Freilassung des in Frankreich im Knast sitzenden mutmaßlichen Chefs der libanesischen Gruppe FARL, Ibrahim Abdallah, forderte. Trotz ihres verbalen Radikalismus suchte die französische Rechtsregierung bald nach Vermittlern. Ende Oktober wurde vermutlich ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der FARL und der französischen Regierung abgeschlossen. Die FARL sollte die Anschläge einstellen und Ibrahim Abdallah zum Ausgleich bei seinem für Februar angesetzten Prozeß äußerst glimpflich davonkommen. Die Regierung bestätigte die Verhandlungen und bekräftigte gleichzeitig ihre Entschlossenheit, sich von Terroristen nicht erpressen zu lassen. Die Anschläge haben seither aufgehört. Im Gegensatz zu Frankreich sind in Großbritannien Geiselnahmen immer möglichst diskret behandelt worden. 17 britische Staatsbürger sind zur Zeit als Geiseln im Libanon, und Regierung wie Opposition sind sich darin einig, daß diese Angelegenheit möglichst entpolitisiert und auf dem Verhandlungsweg gelöst werden muß. Terry Waite als zentrale Verhandlungsfigur Die für Verhandlungen ausländischer Geiseln im Libanon zentrale Figur ist der Sondergesandte des Erzbischofs von Canterbury, Terry Waite. Er befindet sich angeblich seit Dienstag bei den Entführern einiger amerikanischer Geiseln im Libanon. Dies teilte Jihad Zuheiri von der Drusenpartei PSP mit, die für den persönlichen Schutz Waites verantwortlich ist. Der Emissär, der sich seit dem 12. Januar im Libanon aufhält, bemüht sich um die Freilassung ausländischer Geiseln, darunter auch der beiden Deutschen. Er hatte am Montag mitgeteilt, er habe Mitglieder der Gruppe „Islamischer Heiliger Krieg“ getroffen, die sich zu der Entführung von fünf Ausländern bekannt hat. Unterdessen hieß es in iranischen Kreisen in Beirut, drei iranische Gesandte seien vor einer Woche nach einem Aufenthalt in Damaskus in Beirut eingetroffen und an Verhandlungen hinter den Kulissen über die verschwundenen Amerikaner beteiligt. Auf die Bitte Syriens hin haben die Iraner ein Treffen zwischen Waite und dem geistigen Führer der Hizballah organisiert. Unter politischen Beobachtern in Beirut kursierte die Vermutung, daß Syrien mit iranischer Hilfe die US–Bürger freikriegen möchte - allerdings um einen politischen Preis: freie Hand im Libanon und Mitsprache bei der Auswahl eines Nachfolgers für Iraks Staatschef Hussein, falls dieser gestürzt werden sollte. In Westbeirut schützen mittlerweile 1.200 Angehörige eines syrischen Elitecorps „sensible“ Punkte in der Stadt, wie etwa die Straße zum Flughafen oder das Büro von Amal. Wie die in Abu Dhabi erscheinende Zeitung Al Ittihad am Mittwoch unter Berufung auf libanesische Quellen berichtete, haben die USA einer umfangreichen Militärpräsenz Syriens in Beirut zugestimmt, falls die gefangengehaltenen US–Bürger binnen zwei Wochen freigelassen werden. kk/bs/ant