Bitteres Jubiläum für Londoner Druckarbeiter

■ Die von Times–Verleger Murdoch gefeuerten Drucker kämpfen seit einem Jahr um Wiedereinstellung / Brutale Polizeieinsätze zum Jahrestag / Scharfe Kritik der Drucker an Gewerkschafts–Dachverband, Elektrikern und Journalisten

Aus London Rolf Paasch

„Los zurück Leute, sie kommen“. Es ist das für den Arbeitskonflikt von Wapping so bezeichnende Bild: Die Reiterstaffeln der Polizei preschen aus der Zufahrtsstraße zum Zeitungsverlag „News International“ und treiben ihre Gäule in die demonstrierende Menge. Danach versuchen die mobilen Einsatzstaffeln mit Helm und Knüppel, die vorher mit roter Farbe markierten „Rädelsführer“ festzunehmen. Und andere. Steine fliegen keine mehr. Stattdessen sausen die Schlagstöcke nieder. Trotz dieser Versprengungstaktiken bleiben rund 2.000 der anfangs 15.000 Demonstranten vor den Toren des Druckhauses, um in dem ritualisierten Konflikt die Auslieferung der Murdoch–Zeitungen zu behindern. Ein Bulldozer schiebt den vor dem Eingang umgestürzten Lastwagen beiseite. Hinter dem stacheldrahtumzäunten Verlagsgelände rollen die ersten Sattelschlepper auf die Verladerampe, um den Boulevard–Schund der „News of the World“ aufzuladen und in Millionenauflage unters Volk zu bringen. Verspätungen bei Druck und Auslieferung gibt es schon seit Monaten nicht mehr. Auch der von den Gewerkschaften angeregte Boykott der vier Murdoch–Blätter kostet den Presse– Zaren weniger, als ihm die Um stellung auf die Neue Technologie einbringt. Zur Durchsetzung seiner radikalen Rationalisierungspläne hatte der Verleger Rupert Murdoch den Gewerkschaften 1985 ein völlig unakzeptables Streikverzichtsabkommen vorgelegt. Die Druckarbeiter lehnten dies ab,–BLOCKENDEund mit ihrem anschließenden Streik hatte Murdoch den erwünschten Vorwand für die fristlose Kündigung von 5.500 Druckarbeitern. Streikbrechende Mitglieder der Elektrikergewerkschaft sprangen gerne ein, die Journalisten ließen sich mit Gehaltserhöhungen kaufen. Mit einem Schlag waren die Druckarbeiter, die einstige Aristokratie der britischen Arbeiterbewegung, bei „News International“ plötzlich überflüssig geworden. Erzürnt und verbittert über ihren von langer Hand vorbereiteten Rausschmiß, belagern sie seitdem die „Festung von Wapping“. Insgesamt bot Murdoch 58 Millionen Pfund (150 Mio. DM). Abfindungen, die schon zweimal von den Gewerkschaften abgelehnt wurden.1.700 Gewerkschaftler haben die Abfindungen bis zu 20.000 Pfund angenommen. „Verräter“, sagt Jim Brenner, Streikposten seit einem Jahr. „Wer noch einen Funken gewerkschaftlicher Solidarität in sich hat, der macht so etwas nicht“. Diejenigen, die nach 22 Uhr noch hinter dem Polizeikordon stehen, lassen Schmähtiraden auf die Hüter der öffentlichen Ordnung niederprasseln.“Wenn so eine Sauerei wie das mit dem Murdoch hier Schule macht, dann können die Gewerkschaften einpacken.“ Auf den gewerkschaftlichen Dachverband (TUC) ist hier in Wapping niemand gut zu sprechen. „Verbale Solidarität, sonst nichts“ ist die bittere Einsicht. Nicht einmal die streikbrechenden Elektriker wurden aus dem TUC ausgeschlossen. Stattdessen sehen sich jetzt die beiden Druckarbeiter–Gewerkschaften neuen gerichtlichen Klagen des Zeitungsverlages gegenüber, die sie an den Rand des finanziellen Ruins bringen könnten. Nach 23 Uhr formiert sich die Mehrheit der Demonstranten hinter einem Banner zum ehrenvollen Abzug. Über 150 Verletzte und über 60 Festnahmenhat es bisher gegeben. Auf dem Nachhauseweg vor dem hellerleuchteten „Tower of London“ trabt eine Reiterstaffel an den auf den Nachtbus wartenden Gewerkschaftlern vorbei. Und während die hochgerüstete Kavallerie sehr gut ins militaristische Bild paßt, wirken die Gewerkschaftler vor den Türmen der Festung und der leeren Bushaltestelle eher wie ein anachronistisches Häuflein.