Neues Deutschland druckt Kohl–Kritik

■ Entschuldigungsbriefe aus der Bundesrepublik wegen Unterstellung der Existenz von Konzentrationslagern in der DDR veröffentlicht / Essener CDU–Mitglied kam zu Wort: Großer Unmut auch unter Parteifreunden

Berlin (taz) - Das SED–Zentralorgan „Neues Deutschland“ hat am Sonnabend indirekt Bundeskanzler Kohl wegen seiner Äußerung kritisiert, die DDR unterhalte Konzentrationslager. Unter der Überschrift „Schockiert, bestürzt und empört“ veröffentlichte die Zeitung auf der zweiten Seite eine, wie es in der Unterzeile hieß, „kleine, aber inhaltsvolle Auswahl“ von Briefen aus der Bundesrepublik - darunter auch das Schreiben eines CDU–Mitglieds aus Essen - an den DDR– Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Die DDR hatte bisher in ihren Zeitungen zu Kohls behaupteten Konzentrationslagern im Arbeiter– und Bauernstaat em pörte Briefe von DDR–Bürgern abdruckt und westdeutsche Zeitungskommentare. Die Tatsache, daß über drei Zeitungsspalten Entschuldigungsbriefe aus dem Westen veröffentlicht wurden, ist bemerkenswert. Außergewöhnlich ist auch, daß sich darunter der Brief eines CDU–Mitglieds, des Essener Klaus–Jürgen Sowa befindet, der sich für Kohls Bemerkung entschuldigte. Sowa, der sich auf Nachfragen der taz hin überrascht über den Abdruck zeigte, meinte ergänzend zu seinem Brief, daß auch bei seinen örtlichen Parteifreunden „in großem Umfang Unmut“ über Kohls Äußerung existiere: „Das hat mich ermutigt, diesen Brief zu schreiben.“ Ihn habe es ganz persönlich betroffen gemacht, daß sein Parteivorsitzender das geäußert habe, meinte er zur taz. Sowa, der in dem Brief betonte, beide Seiten müßten gleichermaßen dazu beitragen „friedlich und menschlich nebeneinander leben zu können“, versichterte darin auch, daß viele Bürger auch seiner Partei so denken wie er. Sein Brief schließt mit der Aufforderung an den Staatsratsvorsitzenden, „ein Zeichen“ zu setzen und sich für einen Besuch „in unserem Land zu entscheiden“. Auch ein Brief an Kohl von der taz–Lesern nicht unbekannten bundesweiten Gefangenenorganisation „Solidarität“ des Erwin P.Remus „mit einer Kopie an Erich Honecker“ ist in den Spalten abgedruckt. Tenor: „Kehren Sie vor ihrer eigenen Tür, bevor Sie auf Mißstände in der DDR hinweisen.“ Ein ehemaliger ÖTV–Funktionär bezeichnet Kohl in einem weiteren Brief „als unbelehrbar“ und bezichtigt ihn „der Geschichtsklitterung“. In dem Brief wird aber auch die Gelassenheit begrüßt, „mit der die DDR über diese unglaubliche Behauptung, in der DDR gebe es Konzentrationslager, hinweggeht“. Ein anderer schämt sich für Kohls Äußerungen, auch wenn er „weder Kommunist noch Sozialist“ sei, sondern „einfach kritischer Bürger“. mtm