In Manila stehen die Zeichen auf Sturm

■ Putschgerüchte bekommen neue Nahrung /Guerillaführer wieder im Untergrund / Streikwelle und Landbesetzungen / Zunehmende Kritik an Verfassungsentwurf / Aus Manila Nina Boschmann

Das politische Tauwetter, das der Entlassung Verteidigungsministers Enrile folgte, währte auf den Philippinen nur kurz. Seit den provokativen Schüssen am vergangenen Donnerstag, denen 18 Menschen zum Opfer fiele neue Verfassung, über die am 2. Februar in einem Referendum entschieden wird. Das Schicksal Präsidentin Aquinos ist ungewiß. Vergeblich ruft sie zur Einheit auf.

Das Massaker auf der Mendiolabrücke wird als Symbol für das Scheitern eines Experiments in die Geschichte der philippinischen Inseln eingehen: Der Versuch, die politische Kultur eines Drittweltlandes nach jahrzehntelanger Diktatur durch friedliche Massenaktionen des Mittelstandes nachhaltig zu verändern, ist mißlungen, die Akteure haben ihre Unschuld verloren. Die Wochenendbeilagen der Tageszeitungen vom gestrigen Sonntag waren lange vorbereitet, und sie hatten nur ein Thema: den 47. Geburtstag der philippinischen Präsidentin. Zwar gleicht der Pomp nicht mehr dem vergangener Tage, schlichte Eleganz hat den spanischen Kolonialstil aus Imeldas Zeiten verdrängt, doch der Personenkult weist erschreckende Ähnlichkeiten auf. Statt Marcosbüsten werden heute überall im Land klobige Cory Aquino– Gedenkstatuen aufgestellt. Wo unter Marcos zumindest respektierliche Witze die Macht des Präsidenten beschränkten, ist die kri tiklose Verehrung für Corazon Aquino, die vom Time Magazin als „Woman of the Year“ gekührte Präsidentin, vielerorts grenzenlos. Augenfälligstes Beispiel dafür ist die derzeit laufende Kampagne für die Volksabstimmung über die neue Verfassung, ein schlampig ausgearbeitetes Dokument, das den Philippinen ein kompliziertes politisches System nach US–Vorbild, aber ohne klare gesellschaftspolitische Prioritäten bescheren wird. Die Kampagne wird in weiten Teilen des Landes als reine Personalpolitshow geführt. Die gerechtfertigte Bewunderung für die mutige Witwe ist zumindest bei der unorganisierten Massenbewegung, die sie an die Macht brachte, in gefährliche Passivität umgeschlagen, die Ereignisse wie das Massaker am vergangenen Wochenende erst möglich machen. Wer sich engagiert, das ist die extreme Rechte und die Linke. Die „Peoples Power“, die das Militär im vergangenen Februar in Schach hielt, bleibt zu Hause. Schlachten auf der Mendiolabrücke haben Tradition. Das Bauwerk trennt das Universitäts– und Hochschulviertel von Manila vom Präsidentschaftspalast und ist so logische Zielscheibe aller Proteste, die vom NDF beeinflußten „University–Belt“ ausgehen. Wer auf Mendiola demonstriert, der holt sich zumindest blaue Flecken. Aquino entsetzt Doch Aquino trat an mit dem Versprechen, den Malacanangpalast für das Volk zu öffnen, sich nicht von den Massen zu isolieren. Und nicht einmal unter Marcos, so stellen manche Kommentatoren fest, hat es auf Mendioala je ein solches Blutbad gegeben wie am vergangenen Donnerstag. Corazon Aquino ist entsetzt. Sie hat eine schonungslose Untersuchung angekündigt, mehrere Minister haben den Hinterbliebenen Spenden zukommen lassen. Doch auch am Samstag war sie für die Bauernführer in Manila nicht zu sprechen. Die „Yes–Kampagne“ für die neue Verfassung hatte Vorrang. Die Präsidentin reiste nach Negros und versprach Stabilität und Fortschritt. Am Sonntag, als die meisten Bauern schon wieder in ihre Provinzen gereist waren, feierte sie Geburtstag. Die Bauernführer warten weiter. Ihr Agrarminister, Henderson Alavarez, möchte sich vorerst nicht festlegen. Denn jeder Satz, den er jetzt über Agrarreform fallen läßt, kann die Präsidentin beim Plebiszit Stimmen kosten. Die Bauernführer wissen das, und deshalb wollen sie jetzt ein klares Votum. Wird die Entscheidung dem Parlament überlassen, wie es die Verfassung vorsieht, wird nie etwas herauskommen. Denn nur, wer Grund und Boden besitzt, hat die Mittel, um dort für einen Posten zu kandidieren. Die Bauernführer von der KMP haben im ver gangenen Jahr in der Verfassungskommission als einzige gegen den Entwurf gestimmt. Die Präsidentin verliert lieber die Stimmen der Bauern als die der Mittelklasse. Aber das Massaker vertieft den Graben zwischen den Lagern. Unruhiges Militär Wer hat die Schüsse abgefeuert, wer hat den Befehl gegeben? Diese Frage wird in den kommenden Woche die neueingesetzte Untersuchungskommission für „die Ereignisse auf Mendiola“ beschäftigen. Wie die Erfahrungen mit der Aquino–Mordkommission und der Olalia–Mordkommission zeigen, wird die Untersuchung sehr, sehr gründlich vorgenommen werden und entsprechend lange dauern. Wahrscheinlich so lange, bis entweder die Beweise oder die Verdächtigen außer Landes sind. Das Militär wird nicht sehr kooperativ sein. Aquino hat es nicht unter Kontrolle, sagt die Linke. Erst kürzlich hat „Partido NG Bayan“, die einzig legale Linkspartei auf den Philippinen, Informationen über einen neuen Plan der Streitkräfte zur Destabilisierung des Landes erhalten. „Oplan Noel“ (= no selections) sieht angeblich in verschiedenen Varianten die gezielte Ermordung bestimmter Oppositionspolitiker, die Isolierung der Linken und die gewaltsame Zerstörung der Infrastruktur der „New Peoples Army Guerilla“ vor. Ziel ist die Stärkung des Einflusses der Streitkräfte und der Marcos–Loyalisten. General Ramos soll zugestimmt haben. Wenige Tage nach der Veröffentlichung von „Oplan Noel“ entschied die staatliche Wahlkommission „Comelec“, daß „Partido NG Bayan“ bei zukünftigen Wahlen nicht als Partei zugelassen wird. Der Grund: sie sei ein trojanisches Pferd für die KP, unter ihren Mitgliedern seien ehemalige Guerillakämpfer. Damit sind Jose Maria Sison und Bernabe Buscayno gemeint, beide gehören zu den politischen Gefangenen, die nach Aquinos Amtsantritt entlassen wurden. Zurück in den Untergrund Vor allem aber in den Nordprovinzen agitiert das Militär nun offen gegen die neue Verfassung, weil sie die Auflösung der Privatarmeen und paramilitärischen Gruppen bzw. deren Einbindung in die reguläre Armee vorsieht. „Wenn das durchkommt“, sagt zum Beispiel Rodolfo Aguinaldo, berüchtigter Kommandeur der paramilitärischen Polizei im Cagayan Valley, „gehe ich in die Berge und mache meine eigene Gruppe auf. Wenn ich hier etwas zu sagen hätte, würde ich den Linken erst mal klar machen, daß bewaffneter Widerstand nicht läuft.“ Angesichts eines solchen Klimas, dessen i–Tüpfelchen das Massaker am vergangenen Donnerstag war, haben jetzt auch die Unterhändler der „National Democratic Front“ das Handtuch geworfen. Seit Anfang Januar hatten sie mit der Regierung in Manila darüber verhandelt, wie man den 60tägigen Waffenstillstand mit Inhalt füllen könnte. Nachdem die zweite Phase der Gespräche wochenlang und trotz diverser Vermittlungsversuche von unabhängigen Individuen nicht über den Punkt „Festlegung der Tagesordnung“ hinauskam, wurde am Donnerstag abend die vorläufige Aussetzung der Treffen im gegenseitigen Einverständnis bekanntgegeben. Die NDF–Delegation räumte noch am Wochenende ihr erst kürzlich eingerichtetes Büro und ging „an einen sicheren Ort bei den Massen“ (NDF–Anwalt Arno Sanidad), sprich in den Untergrund zurück. In der Karmeliter–Kirche, wo die Massaker–Opfer aufgebahrt sind, macht sich unterdessen schon wieder das subversiv–solidarische Klima der Marcos–Ära breit. Zwischen trauernden Verwandten suchen elegant gekleidete Damen aus den feinen Vororten nach Abnehmern für Nahrungsmittelspenden aus „unseren Gruppen“, und ein paar anonyme KP– und Guerillavertreter haben sich schon in die Gästebücher bei den Särgen eingetragen. Bis zum nächsten Tauwetter.