Rau verzichtet - Lafontaine tritt an

■ SPD–“Enkel“ gehen in die Offensive / Nach dem schlechten Abschneiden kritisieren Lafontaine und Schröder Raus Koalitionsabsage an die Grünen / Heidi Wieczorek–Zeul: Rot–grünen Weg nicht wieder blockieren / Spekulationen um Brandt–Nachfolge nach Raus Verzicht

Aus Bonn Tina Stadlmayer

„Johannes Rau steht als Parteivorsitzender nicht zur Verfügung“ verkündete SPD–Vorstandssprecher Günther Verheugen gestern am Rande der SPD–Vorstandssitzung. Das große Messerwetzen über die richtige Wahlstrategie, über das Verhältnis zu den Grünen und damit auch über den Parteivorsitz hat begonnen. Der saarländische Ministerpräsident und als „Thronfolger“ ins Spiel gebrachte Oskar Lafontaine verkündete in Bonn: „Die Aussage, mit den Grünen sei eine Koalition nicht möglich, halte ich für falsch. Wir haben die Wählerentscheidung zu respektieren und die Wählerentscheidung für die Grünen ist beachtlich. Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie Realos oder Fundis sein wollen - es war falsch, daß wir ihnen diese Festlegung erspart haben.“ Bereits am Wahlabend hatte der niedersächsische SPD–Fraktionsvorsitzende Gerhard Schröder auf die Frage nach den Gründen für das schlechte Wahlergebnis gegenüber der taz erklärt: „Das wird mit der Ablehnung einer offenen Haltung in der Koalitionsfrage zusammenhängen, die deshalb auch geändert werden muß.“ Auch das SPD–Präsidiumsmitglied Heidemarie Wiczorek–Zeul schlug gegenüber der taz in dieselbe Kerbe: „Es muß zukünftig ein Blockieren eines rot–grünen Weges verhindert worden. Bei anderer Orientierung wäre es möglich gewesen, für das, was in Hessen rot–grün ist, eine breitere Mehrheit zu bekommen.“ Johannes Rau, Ex–Kanzlerkandidat und nun wieder in erster Linie nordrhein–westfälischer Ministerpräsident, hatte seine „Müdigkeit“ bereits am Wahlabend angedeutet. Auf die Frage einer britischen Journalistin „What will you do now?“ erklärte er: „Now, I will go home and enjoy my family“ (jetzt gehe ich heim und freue mich an meiner Familie). Fortsetzung auf Seite 2 Zu Rau in Düsseldorf Bericht auf Seite 4 In Düsseldorf verkündetete er dann gestern allerdings stolz: „Ich bin überzeugt davon, das Gewicht der SPD bundesweit steht und fällt mit der Regierungsfähigkeit in Nordrhein–Westfalen. Hier hat sich die SPD prima gehalten.“ Bei der innerparteilichen Auseinandersetzung geht es den Genossen vor allem darum, wer in der SPD in Zukunft etwas zu sagen haben wird. Willy Brandt wird näch stes Jahr den Parteivorsitz niederlegen, und dann werden auch die Karten für die beiden stellvertretenden Vorsitzenden neu gemischt. Es gilt als sicher, daß Rau Stellvertreter bleiben will. Er hält auch nichts von Brandts Vorschlag, eine Frau in den stellvertretenden Vorsitz zu wählen. Aber auch dem saarländischen Ministerpräsidenten scheint dieser Vorschlag nicht zu gefallen. Lafontaine auf eine Frage der taz: „Ich habe mich immer für mehr Frauen in Spitzenpositionen eingesetzt.“ Im Vorsitz? „Nein, ich sage jetzt nichts zu Personalfragen.“ Auch als künftiger Kanzlerkandidat würde sich Lafontaine sicher gefallen: „Ich will meinen Beitrag dazu leisten, daß diese Bundesregierung 1991 abgelöst wird“ verkündete er gestern in Bonn. Und: „Die Entscheidung über den Parteivorsitz und über den nächsten Kanzlerkandidaten muß in den nächsten Wochen und Monaten fallen.“ Tatkräftige Unterstützung haben ihm bereits die Jusos zugesagt. Ihr Vorsitzender Michael Guggemos erklärte, Oskar Lafontaine sei ein Vertreter der Enkelgeneration, der als Parteivorsitzender eine neue SPD glaubwürdig vertreten könne. Annäherung an die Alternative Liste (AL) signalisierte am Sonntag abend der Berliner SPD–Fraktions– und Parteichef Walter Momper. Mit von Berliner Genossen recht ungewohnten Tönen kündigte er an, man werde prüfen, wo es Trennendes und Verbindendes zwischen AL und SPD gebe. Im Berliner Wahlkampf vor zwei Jahren hatte die SPD–Spitze noch Auseinandersetzungen mit den Inhalten der Alternativen abgelehnt.