I N T E R V I E W Rohrmoser:Die „FDP saugt den Volksparteien das geistige und ideologische Mark aus den Knochen“

■ Prof. Günther Rohrmoser warnt die CDU davor, zur SPD der 70er Jahre zu degenerieren, wenn sie sich an der Seite der FDP an die linke Mitte anpaßt

Prof. Günther Rohrmoser gilt als rechtskonservativer Vordenker und Strauß–Intimus. Er hat sich lange vor dem Zustandekommen der christlich–liberalen Koalition für eine „geistige Wende“ ausgesprochen. Bereits 1985 hatte er von einer „Auszehrung der politischen Substanz der CDU“ gesprochen. taz: Wie interpretieren Sie die relative Niederlage der CDU/CSU? Prof. Rohrmoser: Ich habe vor vier Jahren, als Kohl sich zum ewigen Bündnis mit der FDP entschlossen hat, die Meinung vertreten, daß dies zwar ein taktischer Erfolg von Helmut Kohl, aber eine strategische Niederlage der CDU sei, für die sie einen mit der Zeit immer größer werdenen Preis zu zahlen habe. Welche Folgen hat das für die Konservativen? Die Christ–, National– und Agrarkonservativen sind mit dem Kurs und der grundsätzlichen Entwicklung der Koalition nicht einverstanden. Sie reagieren mit vermehrter Stimmenthaltung. In vier Jahren werden es acht bis zehn Prozent sein. Damit kommt die CDU an der Seite der FDP in das gleiche Dilemma wie die SPD. In dem Maße, in dem sie sich an die linke Mitte anpaßt, wird sie, wie man vermuten kann, zu einer Art Nachfolgeorganisation der SPD der 70er Jahre. Die objektive Ursache dafür ist - und ich will da gar nicht den Repräsentanten der FDP eine besondere Verantwortung zuschieben - daß die FDP objektiv parasitär geworden ist und den beiden Volksparteien das ideologische und geistige Mark aus den Knochen solange aussaugt, bis sie ihren jeweiligen Koalitionspartner wie einen ausgelaugten Knochen beiseite legen kann.Die Vorraussetzungen für eine erneute Koalition der FDP mit der SPD sind ja inzwischen so günstig geworden, daß man sich fragen kann, wieso die FDP nicht eigentlich auch mit Rau - wenn die Stimmen gereicht hätten - eine Koalition hätte eingehen können. Was ist denn ihre strategische Alternative? Grundsätzlich und auf den Punkt gebracht: In der Bundesrepublik haben wir links von der SPD oder in partieller Übereinstimmung mit der SPD das neue Phänomen der Grünen und Alternativen, die ja nicht ganz zu unrecht den Ausgang der Wahlen als ein historisches Ereignis und einen epochalen Sieg feiern. Dieses gesamte Parteiensystem kann solange nicht in eine sich selbst stabilisierende Situation kommen, solange dieses Phänomen nicht innerhalb der Parteienlandschaft durch eine Erweiterung des Spektrums nach rechts ausbalanciert und ausgeglichen wird. Natürlich erzeugen die Grünen auch gleichzeitig, was sie als Gefahr beschwören, nämlich ein neues nationales und konservatives Potential. Läuft alles auf eine neue Partei rechts von der CDU hinaus? Dies kann so sein, muß aber nicht. Wenn die CDU aus dieser Situation, in die sie sich selbst unter Herrn Kohl hineinmanövriert hat, nicht herausfinden kann, dann müßte sie eigentlich ein vernünftiges Interesse daran haben, daß dieses Potential politisch so organisiert wird, daß es eben das traditionelle Parteienspektrum nicht sprengt. Das vernünftigste wäre, wenn die CSU die Chance bekäme, in vernünftiger Absprache mit der CDU dieses Potential zu integrieren. Denn Strauß hat im Unterschied zu Willi Brandt das rechte Potential bisher erfolgreich in die Demokratie integriert. Sie plädieren also dafür, daß Strauß nach Bonn geht? Nein, das berührt diese Frage gar nicht. Was soll die CSU bei den Koalitionsverhandlungen jetzt machen? Wenn die FDP, wie Bangemann erklärt hat, auf die unerbittliche Einhaltung ihrer Vorstellungen beharrt, und die CSU sich diesen Forderungen - vielleicht etwas deklamatorisch und mit einigen Kautelen versehen - unterwerfen würde, dann hätte die CSU das aufgegeben, was man ihre Identität nennt. Damit wäre das Rechtspotential freigegeben. Die CSU hat möglicherweise im Augenblick für lange Zeit die letzte Chance, überhaupt noch auf den zukünftigen Lauf der Dinge, der auch sie betrifft, handelnd einzuwirken. Welche anderen Alternativen hat also die CSU? Entweder sie unterwirft sich mit großem rhetorischen Getöse oder sie unterwirft sich nicht. Dann kann sie aber nicht Mitglied dieser Koalition werden. Dann müsste sie in der Konsequenz die Koalitionsgemeinschaft aufkündigen und den Vorschlag verwirklichen, den ich ihr bereits nach der NRW–Wahl gemacht habe: aus der Rolle einer konstruktiven Opposition die Restkoalition mittragen. Nur damit hätte sie eine reale Chance, auf die Politik der Koalition wirklich substanziellen Einfluß zu nehmen. Das Gespräch führte Max Thomas Mehr