Ein Dorf der Völkerfreundschaft auf Zypern

■ In Pyla leben Zyperngriechen und Zyperntürken friedlich nebeneinander / Zwischen den Fronten läßt sich gut Handel treiben Das „Schmuggler– und Spionagenest“ gerät ins Visier der Politiker / Der Innenminister Michaelides hat 300 Polizisten für das Tausend–Seelen–Dorf beantragt

Aus Nikosia Klaus Hillenbrand

Die „Polar Station“ der schwedischen UNO–Soldaten liegt in gleißender Sonne. Vom Dach eines Fischrestaurants beobachtet einer der „Blauhelme“ das Leben auf dem Dorfplatz von Pyla. Gegenüber dösen türkische Zyprioten im Kaffeehaus. Der zyperngriechische Besitzer des Restaurants wartet auf Kundschaft. Die „Polar Station“ hat keine besonderen Vorkommnisse zu vermelden. „Probleme gibt es jetzt nicht mehr“, meint Hassan im türkischen Kaffeehaus. Die früheren „Probleme“ - Zyperngriechen - sitzen gegenüber in ihrer Kneipe. Das Tausend–Seelen– Dorf Pyla ist einer der beiden letzten Orte auf Zypern, in dem Insel– Griechen und -Türken noch miteinanderleben. Als 1974 türkische Truppen den Nordteil Zyperns überfielen, stoppten die Soldaten kurz vor dem Dorf. So mußten die griechischen Einwohner damals nicht, wie rund 165.000 ihrer Landsleute, die Heimat verlassen. Pyla wurde angesichts der Nähe zum besetzten Norden der von UNO–Soldaten bewachten Pufferzone zugeschlagen, die sich quer durch die Insel zieht. Seitdem ist das Dorf international verwaltet. Im Büro des zyperngriechischen Muhtars, der die Interessen der etwa 700 christlichen Einwohner vertritt, blickt ein umrahmter Präsident Kyprianou von der Wand. Die beiden Muhtars sollen Konflikte zwischen den Einwohnern schlichten. Im Streitfall ist dann die Polizeistation der schwedischen UNO–Soldaten am Dorfplatz zuständig. Da aber die Volksgruppen von Pyla wenig zum Streit neigen, besteht die Ar beit der Blauhelme vor allem darin, den Touristen, die im Sommer das Dorf übervölkern, das Fotografieren zu verbieten. Koexistenz ohne Zollschranken Welcome tourist steht über dem griechischen Kaffeehaus. Die Fremden haben Pyla elf Tavernen beschert, drei von Zyperntürken betrieben, acht von Zyperngriechen. Andenkenläden und Boutiquen verkaufen Jeans aus USA, Whiskey aus Schott land, Töpfereien aus türkischen Beständen und Postkarten aus dem zyperngriechischen Larnaka. Die geballte Ladung friedlicher Waren–Koexistenz hat freilich noch einen anderen Grund. Es gibt keine Zollschranken zwischen den Phantomstaaten „Türkische Republik Nordzypern“ und der Republik Zypern. Was von den türkischen Dörflern aus dem Norden nach Pyla gebracht wird, wandert in der Regel unkontrolliert über die einzige vorhandene Straße weiter in den Süden. Zwölf Jahre lang hat das niemanden weiter gestört. Doch jetzt ist die Pyla–Debatte entbrannt. Im Parlament der Insel–Republik werfen sich Innenminister Michaelides und die Oppositionsparteien wenig freundliche Worte an den Kopf. Nach der Enthüllung des sozialistischen Abgeordneten Eliades, Pyla sei ein Schmuggler– und Spionagenest, beschäftigte sich das hohe Haus volle drei Stunden mit der Angelegenheit. Mit dem Schmuggel wolle das Regime in Nordzypern die Ökonomie des Staates destabilisieren, hieß es reichlich übertrieben. 171 Fälle von Schmuggel seien in den letzten zwei Jahren bekanntgeworden, so der Minister, der die geringe Zahl an Polizeikontrollen an der Zufahrtsstraße nach Pyla beklagte. Im gleichen Atemzug verlangte er denn auch 300 neue Polizeistellen, um die Wege der 1.000 Dorfbewohner und ihrer Besucher zu kontrollieren. Zum Dorf selbst haben die zyperngriechischen Polizisten so wenig Zutritt wie ihre türkischen Kollegen. „Wenn ich in den Norden fahre, nehme ich ein türkisches Nummernschild, für den Süden schraube ich ein zyperngriechisches ans Auto“, erzählt Hassan verschmitzt. Er besitzt auch zwei Personalausweise - für jeden Staat einen. Damit sind die Moslems von Pyla die einzigen Einwohner der geteilten Insel, die problemlos die Seiten wechseln können. Ein Spion ist Hassan deshalb noch lange nicht. Freilich: Ab und an erhält das Dorf Besuch von unauffälligen Zivilisten aus dem türkisch besetzten Nordteil. Und auch tatsächlich handelt es sich nicht immer um den harmlosen Touristen, der glücklich eine unerhört preiswerte Flasche Bourbon ergattert hat. Auch der schwerwiegendste bekannte Schmugglerdeal - der Transport von zwei Tonnen türkischer Äpfel gen Süden - dürfte wohl kaum die Wirtschaft der Republik Zypern aus dem Gleichgewicht bringen. Doch jetzt sollen im „delikaten Problem Pyla“ (so der Minister) „Schritte unternommen“ werden. Welche, sagt die Regierung nicht. Jedenfalls sind die 300 Polizisten, die Minister Michaelides so gerne hätte, noch nicht bewilligt. Vor der türkischen Grundschule von Pyla weht der rote Halbmond. Hundert Meter weiter spielen zyperngriechische Kinder in der Schulpause neben der griechischen Flagge. Die Eltern der Schüler, die 700 christlichen und 300 moslemischen Einwohner, sind der lebende Beweis gegen die Behauptung, Insel–Griechen und -Türken könnten nicht friedlich zusammenleben. Schmuggel ist eben völkerverbindend.