Ein (radio–)aktives Kompensationsgeschäft

■ Deutsche Atomindustrie hamstert Plutonium in Schweden / Bezahlt wird mit Atommüll / Regierungsvertrag sieht keine Einschränkung des Endverwendungszweckes für Plutonium vor / Widerstand in Schweden gegen das Doppelgeschäft: „Absurde Risiken“ für spätere Generationen

Von Nico Sönnichsen

428 Kilogramm Plutonium aus Schweden, die noch in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague lagern, sollen in diesem Jahr nach Hanau überführt werden. Bereits am 28. Mai vergangenen Jahres stimmte die US– amerikanische Atomaufsicht dem deutsch–schwedischen Plutonium–Transfer zu. Bedingung: das heiße Material soll in der Bundesrepublik ausschließlich für die Herstellung von Mischoxid(MOX)–Brennelementen und deren Einsatz in Leichtwasserreaktoren weiterverwendet werden. In einem der taz vorliegenden Vertragsdokument zwischen der Bundesregierung und der Regierung Schwedens wird allerdings auch die Möglichkeit offengehalten, den Endverwendungszweck des auch zum Atombombenbau geeigneten Plutoniums nachträglich ändern zu können. „Beide Regierungen werden sich konsultieren, wenn der Endverwendungszweck des Plutoniums geändert werden sollte“, heißt es in dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Vertragstext. Diese dubiose Formulierung, die eine militärische Option offen läßt, hat die schwedische Anti– Atom–Initiative „Folkskampanjen mot Kärnkraft och Kärnvapen“ kritisiert. Ihre Befürchtungen, das Plutonium könnte auch „anderweitig“ genutzt werden, hat in Schweden bisher niemand ausräumen können. Unter Hinweis auf die internationalen Vereinbarungen über die Nichtweiterverbreitung von kernwaffenfähigem Material erklärte sogar die Staatliche Schwedische Atomaufsicht (SKI, Statens Kärnkraftinspektion) in einer Stellungnahme an das Stockholmer Industriedepartment, es wäre „grundsätzlich besser“, das in La Hague aufgearbeitete schwedische Material - wie ursprünglich mit dem französischen Atombetreiber Cogema vereinbart - wieder nach Schweden rück– und nicht in die Bundesrepublik auszuführen. Lediglich ökonomische Gründe sprächen dagegen, gesteht die Behörde ein. Anschlußverträge in Sicht Die Bundesregierung weist ebenso wie die den Plutoniumhandel abwickelnden Firmen Reaktor–Brennelemente–Union– GmbH (RBU) und Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerke (RWE) jeden Verdacht weit von sich. Das den Schweden abgehandelte Plutonium werde für die Brennelementeherstellung gebraucht und sonst nichts, heißt es in Bonn und in den Unternehmenszentralen in Hanau und Essen. Welchen Sinn aber dann eine Vertragsklausel macht, die auch andere Optionen ermöglicht, bleibt offen. Mehr noch. Der Plutoniumimport aus Schweden über La Hague könnte ein weiteres Indiz dafür sein, daß in den Plutoniumkammern der Bundesrepublik aus vielen Ländern spaltbares waffenfähiges Material angehäuft wird, über das die internationale Kontrolle im Gestrüpp der vielen Brennstoffkreislauf–Stationen schnell verloren gehen könnte. Auch könnten dem jetzt beabsichtigten, vertragsreifen Plutoniumhandel mit Schweden in Zukunft weitere Anschlußverträge folgen. Denn die schwedische Atomindustrie, das weiß man hierzulande, steckt in der Klemme: Gut 300 Tonnen aufgearbeitetes schwedisches Brennstoffmaterial wartet noch in Japan, La Hague und Sellafield auf Abholer. Nach Schweden zurückgeholt werden kann nur das aufgearbeitete Uran. Denn für das abgetrennte Plutonium und für den hochradioaktiven Abfall verfügt Schweden über keinerlei Verwendungs– und Lagerungsmöglichkeiten, obwohl sich das Land in den meisten Fällen vertraglich zur Rückführung des gesamten Brennstoffmaterials und Abfalls verpflichtet hat. So kam denn auch den Schweden das Interesse der westdeutschen Atomindustrie für das in La Hague lagernde Plutonium gerade recht. „Die Ausfuhr des Plutoniums in die Bundesrepublik bedeutet, daß die schwedische Kernbrennstoffindustrie eigene spezielle Anlagen für die Rücknahme, Zwischen– und Endlagerung des Plutoniums und des hochradioaktiven Abfalls nicht zu bauen versucht“, heißt es in einem der taz ebenfalls vorliegenden Dokument der schwedischen Regierungsbehörden. In Schweden wolle man in Anbetracht des begrenzten Umfangs des nationalen Atomprogramms und in Anbetracht der steil nach oben schnellenden Preisentwicklung bei der Wiederaufarbeitung künftig nur eine nationale Direktlagerung für abgebrannte Brennelemente vorsehen, deren erste Ausbaustufe im Zentrallager Clab bei Oskarshamn 1985 in Betrieb genommen wurde. Für das in den Jahren davor nach Frankreich, England und Japan zur Aufarbeitung gelieferte Material - mit Ausnahme des wiederaufgearbeiteten Urans - eigne sich das Zwischenlager Clab jedoch nicht. Von dieser Zwickmühle, in die sich die schwedische Atomindustrie hineinmanövriert hat, will die westdeutsche Atommafia gleich doppelt profitieren. Profitables Doppelgeschäft Von einem „Tausch“ ist im Zusammenhang mit dem Plutoniumerwerb die Rede: Das aus La Hague kommende schwedische Plutonium soll mit der Lieferung von deutschem Atommüll nach Schweden „bezahlt“ werden. Noch in diesem Jahr sollen 217 abgebrannte Alt–Mischoxid (MOX)–Elemente aus westdeutschen Reaktoren in das schwedische Zwischenlager Clab exportiert werden. „Zur 30– bis 40jährigen Zwischenlagerung und anschließenden Endlagerung“, heißt es offiziell auf schwedischer Seite. Die Alt–MOX–Elemente stammen aus den Reaktoren Grundremmingen, Kahl und Obrigheim und dem Forschungsreaktor Karlsruhe. Eine Wiederaufarbeitung dieser nach einer älteren Methode hergestellten Brennelemente käme zu teuer, bestätigen Fachkreise, denn das in diesen Brennelementen enthaltene Plutonium sei nur äußerst schwer und kostspielig trennbar. Also ab in den Müll damit. Hauptsächlich um die Einfuhr dieser plutoniumhaltigen MOX– Elemente nach Clab wird in Schweden seit Monaten heftig gestritten. Nicht nur die „Folkkampanjen“ macht dagegen mobil. Ihre Mitglieder befürchten, diese Atommülleinfuhr könnte erst der Anfang sein und Schweden könne bald zu einer internationalen Atommüllstation werden. „Absurde Risiken“ Mehrfach hat sich schon das schwedische Parlament mit dem Handel beschäftigen müssen. Gegen die Einfuhr der Alt–MOX– Elemente wendet sich vor allem auch Birgitta Hambraeus, Vorstandsmitglied des staatlichen Strahlenschutzinstituts SSI. In einem Minderheitenvotum zum Mehrheitsbeschluß des SSI–Vorstands vertritt Birgitta Hambraeus die Auffassung, daß das Zwischenlager Clab für die Aufnahme der deutschen Alt–MOX–Brennelemente „völlig ungeeignet“ sei. Dabei stützt sie sich auf eine offizielle Untersuchung des SSI, in der auf eine Reihe von ungelösten Problemen beim Transport, bei der Entgegennahme, Einkapselung und Lagerung hingewiesen wird. „Es kann erwartet werden, daß die Wahrscheinlichkeit für Unfälle in Clab beim Umgang mit den Alt–MOX–Elementen etwas steigt“, heißt es in dem SSI–Gutachten. Auch während des Transports und während der Entgegennahme könnten die Brennelemente beschädigt werden. Unfälle mit den MOX–Elementen könnten „etwas größere Konsequenzen für die Umgebung und für das Personal mit sich bringen“. Die Bedenken Birgitta Hambraeus richten sich vor allem auch gegen die „absurden Risiken“ für spätere Generationen. „Der Druck in den Brennelemente einkapselnden Behältern steigt unablässig durch die Bildung von Helium–Gas und erreicht ein Maximum nach ca. 100.000 Jahren“, schreibt die SSI–Vorstandsfrau, „das ist die gleiche Anzahl von Jahren, wie die äußere Kapsel um den Brennstoffabfall halten soll“.