Vatikan–Dokument zur Armut der Dritten Welt

■ Außergewöhnlich scharfe Angriffe gegen Industriestaaten „Benötigt wird ein Pakt der internationalen Solidarität“

Aus Rom Werner Raith

Das Dokument war erwartet worden - doch der Inhalt unterschied sich derart von den Prognosen, daß sogar die „Vatikanologen“ erst langsam dahinter kommen, welche Sprengkraft es enthält. Der „Approccio etico per il debito internazionale“ (Ethische Annäherung an die internationale Verschuldung) der Kongregation „Iustitia et pax“ - eine Art Justizministerium des Heiligen Stuhls - geht derart scharf mit der „Ausbeutung der Dritten Welt durch die reichen Länder“ ins Gericht, daß sich die meisten zunächst fragten, ob das Schriftstück nicht ein Versehen ist. Da wird die „immer weitere Öffnung der Schere zwischen Ländern mit Wohlstand und solchen mit tödlichem Hunger“ angeprangert, da werden „gewissenlose Regierungen und ihre Marionetten in den Ländern der Dritten Welt“ ebenso wie „profithungrige Konzerne“ für das Desaster verantwortlichi gemacht. Den meisten Journalisten ging erst allmählich auf, wie der Vorsitzende der congregationas, Etchegaray, bei der Vorstellung des Dokuments Worte wählte, die direkt aus dem Munde eines „Befreiungstheologen“ stammen könnten. Deren Namen und deren Theorien fielen allerdings nicht. Es hätte wohl zu starke Turbulenzen im Vatikan gegeben, denn Kardinal Ratzingers „Glaubenskongregation“ (das Ideologieministerium) ist nicht im Traum bereit, von ihrem Verdikt gegen die südamerikanischen Armen–Priester abzugehen. Das neue Dokument enthält auch präzise Vorschläge für eine Überwindung der Misere: Moratorien und Erlaß der Schuldenrückzahlung, großzügigere Entwicklungshilfe, die sich ausschließlich nach landesinternen Bedürfnissen und nicht nach Ausbeutungskriterien richten darf, bessere Bezahlung für Rohstoffe, insgesamt: „Benötigt wird ein Pakt der internationalen Solidarität.“