Linke Utopien - wo sind sie geblieben?

■ Mit ihrem Film „Geisterfahrer“ hält die Freiburger Medienwerkstatt der Linken den Spiegel entgegen

Seit nunmehr acht Jahren gibt es sie - die Medienwerkstatt in Freiburg. Über die Jahre haben sie die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Südwesten der Republik mit der Videokamera verfolgt - jetzt versuchen sie eine Bilanz. In einer ironischen Kollage, die das Zweite Deutsche Fernsehen heute abend ausstrahlt, fragen sie nach dem Verbleib der linken Utopien. Die Konzentration auf den Parlamentarismus, so ihr Fazit, hat die Träume geschluckt.

Die Freiburger Medienwerkstatt sei ausgezogen, den Zustand der Linken zu untersuchen, und habe das Fürchten gelernt, schreibt die Zürcher Wochenzeitung über deren Film „Geisterfahrer“ - heute im Zweiten. Den Zustand der Linken haben die fünf Männer und Miriam, die einzige Frau aus der Freiburger Konradstraße, untersucht, doch was sich ihnen offenbaren würde, wußten sie wohl schon lange vorher. „Wenn unsere Träume nicht zu den Tatsachen passen“, steht im Begleittext zum Film, „um so schlimmer für die Tatsachen.“ Verbitterung wegen der „Tatsachen“? Wyhl, Radio Dreyeckland, Dreisameck, Schwarzwaldhof und Gretherfabrik - an keinem Ort im Südwesten der Republik waren die Kämpfe um ein anderes, selbstgestaltetes Leben härter. Seit acht Jahren ist das Arbeits– und Lebenskollektiv Medienwerkstatt an diesen Kämpfen beteiligt, mit oder ohne Video kamera. Ihr Videoarchiv ist eine Dokumentation dieser Zeit - mehrmals Anlaß für die Polizei zu Hausdurchsuchungs– und Beschlagnahmeaktionen. Alternative, die professionell arbeiten Die Leute der Medienwerkstatt sind Profis. Drei ihrer Produktionen, ein Film über die Besetzung des Schwarzwaldhof, die Dokumentation einer Spanienreise mit den Anarchisten Augustin Souchy und Clara Thalmann und jetzt „Geisterfahrer“, hat die ZDF–Redaktion kleines Fernsehspiel gekauft. Der Verleih von Dokumentarfilmen und gelegentliche Jobs als Berater und Lehrer an Universitäten und Filmakademien reichten bisher zum kollektiven Leben und Arbeiten im eigenen Haus. „Geisterfahrer“, das kleine Fernsehspiel im ZDF, wird vorläufig wohl die letzte Fernsehproduktion der Freiburger Medienmacher sein. SDR und SWF, die öffentlich–rechtlichen Anstalten des Südweststaats, lehnen Produktionen der Freiburger Medienmacher aus grundsätzlich politischen Erwägungen ab. Eine Produktion fürs Privatkabel ist für die Medienwerkstatt undenkbar. „Lebe wild und gefährlich“ Was bleibt, ist die Hoffnung auf Entwicklung einer „Medienkultur“ von unten, Vernetzung mit anderen freien Videogruppen und Ausbau gemeinsamer Verleihstrukturen. „Es ist uns wichtiger“, beharren die Freiburger Medienleute, „daß kleine Gruppen, politische Initiativen und kommunale Kinos unsere Filme zeigen und intensiv darüber diskutieren, als daß Millionen unsere Produkte vor dem Fernseher konsumieren.“ Zitat aus dem Prospekt der Medienwerkstatt zum Selbstverständnis: „Ist es denn so wichtig, wie der Mensch die Revolution preist? Wesentlich ist sicher etwas anderes - wie er durch die Revolution auf neue Art sieht, fühlt und alle ihn umgebenden Gegenstände benennt.“ Ohne je wirklich dogmatisch zu sein, haben sich die Freiburger Dokumentarfilmer ihre Weltanschauung, ihre Prinzipien, ihre politischen Überzeugungen seit Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit mit Super 8, Foto und Siebdruck ebenso be– und erhalten wie ihre langen Haare. Daß in einem Kol lektiv jede/r Filmproduktionen planen und entwerfen, die Kamera führen, Dialoge und Texte schreiben und Verwaltung und Buchhaltung macht, ist für die Freiburger Medienleute selbstverständlich. Eine andere Art zu arbeiten und zu leben können und wollen sich die sechs aus der Konradstraße gar nicht vorstellen: „Vor zwei Jahren sind wir noch in den Wald gegangen, um das Holz für unsere Kanonenöfen selbst zu sägen.“ Auch jetzt noch bullert ein Holzofen im behaglichen Medienladen. Ein paar Besucher stöbern in den Regalen des Videoarchivs. Zwei kurze Holzstiegen führen in die Arbeits– und Schneideräume, einer für die eigenen Produktionen, im anderen arbeiten zwei Studenten. Außer dem Kontrast zwischen liebevoll abgebeizten Holztüren und professioneller High–Tech sind die Räume unauffällig. Im Laden liegt Konrad, der Kollektivhund, und spielt mit Brennmaterial. Bertram schneidet und synchronisiert seinen Nicaragua– Film „Briefe aus Wiwili“. Er war einige Zeit in der Kollektivsiedlung des legendären Guerillaführers Sandino, nachdem Freunde aus Freiburg, der Arzt Tonio Pflaum und der Aufbauhelfer Berndt Koberstein, dort von Sol daten der Contra ermordet wurden. Die Filmdokumente, die er mitgebracht hat, sind ebenso eindringlich wie unprätentiös. Unprätentiös und von der Bemühung getragen, gesellschaftliche Widersprüche wenigstens in den eigenen vier Wänden aufzulösen, wirken auch die Lebensumstände des Kollektivs. Im langen Hausgang hängt die gemeinsame Wäsche, im ausgebauten Dachstock steht die gemeinsame Bibliothek. In den Zimmern hängen Bilder von Straßenkämpfen, ein Briefmarkenportrait von Ulrike Meinhof und Sprüche wie: Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich! Im Gang steht der gemeinsame Kleiderschrank und ein Rollstuhl für Videoaufnahmen im Europaparlament. „Manchmal fehlt es uns neben all der Arbeit und Öffentlichkeit, neben all den Besuchern, die hierher kommen, an Intimität und Privatheit“, klagt Bertram. „Aber das bringt wohl unsere Art zu arbeiten und zu leben so mit sich.“ Dietrich Willier