Wer will „Forschungskasernen“?

■ Die Struktur der Forschungslandschaft in der BRD war der einzige Dissenspunkt zwischen SPD und CDU in der Enquetekommission / In der Gentechnik bildet sich ein wissenschaftlich–industrieller Komplex heraus

Aus Bonn Oliver Tolmein

Ekkehard Bautz aus Heidelberg ist ein begeisterter Forscher. Und weil er entdeckt hatte, daß in der Bundesrepublik „Bürokratie und Lehrdeputate die Wissenschaft ersticken“, mochte er sich nicht damit begnügen Ordinarius für Molekulargenetik an der Universität Heidelberg zu bleiben. Wirklich freie Forschung, so mag er sich gedacht haben, gedeiht besser auf dem freien Markt. Zusammen mit vier Professorenkollegen gründete er deshalb die Progen Biotechnik GmbH. Weil ihm das anscheinend auch noch nicht genug Luft garantierte, ließ er sich noch zum Gründungsvorsitzenden der industrienahen „Gesellschaft zur Förderung der molekularbiologischen Forschung in Heidelberg e.V.“ wählen und setzte alle Hebel in Bewegung, in der Neckarstadt etwas für die Bundesrepublik ganz Neuartiges ins Leben zu rufen: ein Genzentrum, in dem die Wissenschaftler aus Industrie und Universität zusammenarbeiten, wo Forschung und industrielle Umsetzung zu einem großen Ganzen verschmelzen. Die Mär von der freien Forschung Professor Bautz war erfolgreich - und sein Rezept fand viele Nachahmer. Der Bericht der Bundestags–Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnik“ zum Thema „Förderung und Forschung“ ist nicht sehr ausführlich, nichtsdestotrotz aber aufschlußreich, dokumentiert er doch, daß sich im Bereich Gentechnik auf Betreiben von Professoren wie Bautz und interessierter Konzerne wie BASF, Hoechst oder Schering bereits ein wissenschaftlich–industrieller Komplex herausbildet, der die Forderung Forschung habe frei zu sein zur Leerformel macht. Denn daß die Verflechtung von Industrie und Wissenschaft Zwänge produziert, daß ein selbst als quasi–Unternehmer an der Entwicklung von patentreifen Produkten interessierter Wissenschaftler seine Forschungsenergien darauf konzentriert, scheint einleuchtend und wird von den wenigen Studien, die es zu diesem Thema gibt, belegt. Die politischen Gefahren, die aus dem zunehmenden Einfluß der Industrie auf die Setzung der Schwerpunkte und die Auswahl der Methoden der Forschung hier zulande, resultieren, werden in der öffentlichen Diskussion nicht thematisiert - obwohl dieser auf die Gesellschaft kaum weniger bedrohliche Auswirkungen haben könnte als ein Laborunfall. In der Arbeit der Enquetekommission spielten die Verflechtung von Industrie und Wissenschaft auch nur eine nachgeordnete Rolle - obwohl an dieser Frage der einzige Dissens zwischen den bürgerlichen Parteien zu verzeichnen war. Daß die SPD trotz ihrer Neigung gerade in der Auseinandersetzung um brisante Hochtechnologien Übereinstimmung mit der CDU/CSU/FDP zu suchen - betreffe das nun die Atomkraft oder die Gentechnik - an diesem Punkt darauf bestand, ein Zusatzvotum zu formulieren, veranschaulicht dessen Bedeutung. Tatsächlich muß die dort präsentierte Einschätzung als Alarmsignal verstanden werden, selbst wenn der Kommissionsvorsitzende Catenhusen (SPD) sie nicht so verstanden wissen will: „Das Fehlen einer sozialen Verpflichtung von Forschung und Wissenschaft und einer sozialverträglichen Anwendung von Technik ist ein entscheidendes Kennzeichen der wissenschaftlich–technischen Entwicklung. Besonders im Bereich der Spitzentechnologie ist die Wissenschaft intensiv in den Prozeß der industriellen Umsetzung eingebunden...Die eigenständige kognitive und soziale Verantwortung für den wissenschaftlichen Umgang mit Naturprozessen verliert in der grundlagentheoretischen Arbeit weiter an Bedeutung, die Erkenntnis der Komplexität von Naturvorgängen wird nachrangig gegenüber der Konstruierbarkeit der Natur.“ Universitäten und das Big–Business Zugespitzt heißt das doch wohl: Die Möglichkeit zur industriellen Nutzung neuer Erkenntnisse bestimmt weitgehend alleine, woran geforscht wird. Die Grundlagenforschung, zu der auch die kritische, verwertungsunabhängige Reflexion der Ergebnisse gehören sollte, läßt sich kaum mehr von der produktorientierten Anwendungsforschung unterscheiden. Der Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur profitablen Nutzung wird verkürzt, die Forschung zusehends rationalisiert. Kennzeichen grundlagen–theoretischer Arbeit, so die Soziologen Irmgard und Lothar Hack, sei „ein Moment des Spielerischen, Revidierbaren“, die aktuelle Entwicklung aber führe zu einer „Zeit– Kompression“, die nicht nur einen Zeitdruck bedeute, sondern auch die Einführung spezifischer Formen fremdbestimmter Arbeitsteilung und eine Automatisierung im wissenschaftlichen Prozeß selbst, deren Konsequenzen für das „so ziale System Wissenschaft“ enorm sein könnten. Der Unterschied zwischen Universität und Big Business sei ein nicht mehr länger hinzunehmender Luxus, brachte der Präsident der Universität von Miami die neuen Zustände in der Biologie auf den Punkt. Robert Jungk, früher als industriekritischer Wissenschaftler bekannter denn als radikaler Kapitalismuskritiker, hat bereits Ende der Fünfziger, angesichts der Verflechtungen in der Atomphysik den Begriff von der „Forschungskaserne“ eingeführt: Die Gleichförmigkeit der wissenschaftlichen Orientierung charakterisiert die Gentechnikforschung präzise. Angesichts der enormen Bedeutung, die die bürgerlichen Politiker der Eigenverantwortung und Selbstverpflichtung der „scientific community“, der Wissenschaftlergemeinde beimessen, ist deren Einordnung in den industriellen Verwertungsprozeß höchst bedenklich. Das vor allem, weil diese Einordnung immer weniger aufgrund einer freiwilligen Entscheidung erfolgt - oder auch nicht erfolgt. Angesichts der strukturellen Veränderungen der Forschungslandschaft in der Gentechnologie, ist die Zeit absehbar, in der außerhalb industriebeeinflußter Genzentren nichts mehr geht. Schon heute ist dem Enquetekommissions–Bericht zufolge die Finanzierung der mittlerweile vier Genzentren ein Förderungsschwerpunkt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT). 18 Millionen Mark jährlich fließen allein vom Bund nach Heidelberg, München, Westberlin und Hamburg. Weitaus höher sind zumeist die Beträge, die aus den Landeskassen in die Zentren gesteckt werden. Zusätzlich steckt das BMFT im Zeitraum von 1986 bis 1989 100 Millionen Mark in die Anwendungsforschung der Industrie - die teilweise bereits in den geförderten Genzentren involviert ist. Leistung und Flexibilität In den Genzentren in Köln, Heidelberg und München waren 1986 etwa 300 Diplomanden und Doktoranden beschäftigt. Für sie findet nicht nur der Einstieg in die Grundlagenforschung in Bereichen statt, in denen die patentierbaren Ergebnisse schon vorgedacht sind, sie sind auch unter Bedingungen tätig, die sich von denen an den Universitäten unterscheiden. „Flexibilität“ ist eines der Zauberworte der Industrie geworden. Um „flexibel“ zu sein, muß jedes Hindernis aus dem Weg geräumt werden, wird von vornherein in den Genzentren versucht, die universitäre Selbstverwaltung auszusperren. Die Entscheidungen über die Forschungsinhalte, Methoden und Verwendung der Mittel werden aus den Universitäten ausgelagert. Kompetenzen bekommen im allgemeinen Kuratorien oder Verwaltungsgremien - die Industrievertreter haben sich für ihr kleines Scherflein eingekauft und bestimmen mit. Flexibel sind auch die meisten Arbeitsverhältnisse - Zeitverträge sind die Regel. Leistung allein soll das Kriterium für die Weiterbeschäftigung sein - und Leistung mißt sich mit zunehmendem Industrieeinfluß natürlich auch an ihrer Verwertbarkeit.