Grüne Woche im Zeichen des Agrarirrsinns der EG

■ Berliner Wirtschaftsforscher und Grüne fordern Umkehr in EG–Politik / Subventionskosten der EG übersteigen inzwischen das volle Einkommen der Bauern

Von Ulli Kulke

Ernste Politikergesichter sehen die Einigkeit der westlichen Allianz durch den Agrarstreit EG– USA in Gefahr (taz v. Mittwoch); die Europäische Gemeinschaft operiert zur Zeit ohne rechtsgültigen Etat, weil die Landwirtschaft pro Jahr satte zwei Drittel der 75 Milliarden DM Gemeinschaftsgelder aufsaugt, und die ärmeren EG–Länder, die davon nur Brosamen bekommen, langsam den Sinn der Gemeinschaft nicht mehr begreifen. Die 1,5 Millionen Tonnen (!) Butter in den EG–Kühlhäusern sollen verseift demnächst in den Drogerien feilgeboten werden. Einen leisen Hoffnungsschimmer ließ jetzt bei den EG– Bürokraten allein die Kälte aufkommen, als man den besonders betroffenen alten und alleinstehenden EG–Mitbürgern milde Buttergaben versprechen konnte. Die 1,5 Millionen Tonnen des weitgehend ranzigen Lagerfetts kann man ihnen guten Gewissens wohl kaum zumuten. Die Grünen im Europaparlament schließlich wollen sich das ganze nicht mehr mit ansehen und werden Europas Justiz um eine Lösung in der immer krasseren Krise anrufen. Fürwahr bewegte Zeiten auf der Scholle, in den Molkereifabriken und den Brüsseler Amtsstuben, wenn heute Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle die traditionelle Landwirtschaftsausstellung „Grüne Woche“ in Berlin eröffnet. Auch wenn Kiechle nicht mehr umhin kann, selbst lautstark in den Chor der Kritiker an diesem Irrsinn einzustimmen, auch seine Initiativen zu grundlegenden Änderungen waren bislang eher verhalten. Die einzigen Reformansätze der EG–Agrarminister, die annähernd als solche zu bezeichnen wären, galten der Milch–Überproduktion, und diese Schläge gingen noch regelmäßig an der Milch vorbei mitten ins Wasser. Dabei wird bereits jetzt die Lage zwischen der EG und den USA immer dramatischer, weil die USA ihren Futter mittelexport in die EG behindert sehen. Nicht auszudenken, wie verfahren das Ganze noch wird, wenn die Milchproduktion - und damit die Futterverwertung - tatsächlich eingeschränkt wird. 1984 wurde die Quotenregelung für Milch eingeführt. Auf 99,7 Millionen Tonnen wollte man die subventonierte Milchproduktion beschränken - immer noch um ein Viertel über dem EG Eigenverbrauch von 80 Mio. Tonnen. Wenn auch die Quote in den ersten beiden Jahren kaum überschritten wurde, so mußte man im vergangenen EG–Wirtschaftsjahr schon wieder 0,7 Mio. t mehr auf Halde nehmen, 1987/88 rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin gar mit einer Produktion von 2 Mio. t über die ohnedies viel zu hoch angesetzten Quoten. Die im letzten DIW–Wochenbericht dafür angeführten Gründe laufen unterm Strich darauf hinaus, daß eben die Herstellung von Milch und Milchprodukten subventioniert wird, unabhängig davon, ob dadurch Geld in die leeren Kassen der Bauern fließt oder in die volleren der Molkereien: „Während in der Bundesrepublik, den Niederlanden und Belgien einzelbetriebliche Quoten gelten, wenden die anderen Länder sogenannte Molkereiquoten an. Die Möglichkeit des regionalen Ausgleichs beim Über– und Unterschreiten von Quoten führt - mit Ausnahme der Bundesrepublik und den Niederlanden - dazu, daß die Abgabe auf zuviel abgelieferte Milch erheblich reduziert wird und damit die erstrebte Wirkung der Abgabe weitgehend verpufft.“ Interessant für die Struktur der Buttergebirge ist außerdem, daß das Quotensystem nur auf die Milchmenge, nicht auf den Fett– und Eiweißgehalt der Milch bezogen ist. Wollen die Bauern ihre Kunden, die Molkereien, zufriedenstellen, so halten sie ihr liebes Vieh durch Züchtung und spezielle Fütterungstechniken zur Produktion von besonders fetter Milch an. Butter– und Milchpulverberge wachsen deshalb im Gleichschritt zum Konto der Molkereien, während die Bauern Opfer der Milchquotenregelungen bleiben. Hier setzt nun Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf ein, wenn er als landwirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Europafraktion dem Europäischen Rat vorhält, die zur Subvention der Bauern verwendeten EG–Mittel versickerten in einem großen „Milch– und Geldkreislauf zugunsten der Milch– und Futtermittelindustrie“. Für die Bauern bleibt nach seinen Berechnungen buchstäblich weniger als nichts übrig. Weniger als nichts Die Stützungskosten der EG je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche belaufen sich auf 2.448 DM bzw. 38.727 je Bauernhof, so Graefe zu Baringdorf vergangene Woche gegenüber der Bonner Presse. Das Reineinkommen des Voll– Landwirtes belaufe sich dagegen im Durchschnitt auf 1.301 DM je ha bzw. 33.791 DM je Bauernhof. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Milchbetriebe verdiene weniger als den Sozialhilfesatz. Das letzte Viertel der bäuerlichen Betriebe (ohne Nebenerwerb) verdiene nach dem Agrarbericht 1984/85 nur 2.000 DM im Jahr (im Durchschnitt), das nächst „bessere“ Viertel 13.000 DM. Diese untere Hälfte insgesamt müsse von der Substanz leben. Diese Überschußproduktion benachteiligt indes nicht nur die Bauern und verschlingt Milliardenbeträge an Steuergeldern, sondern richtet darüberhinaus nach Ansicht des grünen Edelmannes unübersehbare soziale und ökologische Schäden im landwirtschaftlichen Raum an. Auch hier trifft er sich wieder mit den Agrarexperten des DIW und ihrem vorige Woche vorgelegten Bericht zur EG– Landwirtschaft. Die Berliner Forscher sind zurecht darüber stutzig geworden, daß die bundesdeutsche Agrarpolitik einerseits an der Fiktion festhält, ordnungsgemäß betriebene Landwirtschaft sei per se Umweltschutz, andererseits seit einem guten Jahr die Bundesregierung ein sogenanntes „Marktentlastungsprogramm“ vor sich herträgt, das die Stillegung von Ackerflächen zur Produktionseindämmung auch noch als aktiven Beitrag zu Natur– und Umweltschutz preist. Baringdorf wie auch das DIW gehen davon aus, daß das Angbot an ältere Bauern ohne Hofnachfolge, gegen Prämie ihre Krume aus dem Verkehr zu ziehen, in erster Linie in den benachteiligten Gebieten mit extensiv bewirtschafteten Flächen angenommen wird. Hier findet aber weder die Überproduktion in großem Maße noch die exzessive Zerstörung der Umwelt statt. Das DIW fordert daher anstatt der geplanten Stillegung von ohnehin schon recht still bewirtschafteten Flächen die Zurücknahme der Intensität der Landnutzung. Der Ackerbau soll dabei einer „strengen Reglementierung“ hinsichtlich des Kunstdüngerverbrauchs unterworfen werden. Die Viehhaltung soll an die Größe des betrieblichen Bodens angepaßt, Kuhfabriken ohne Weidegrund mithin ausgeschlossen werden. Auch die Grünen wollen beim Düngerverbrauch ansetzen, allerdings eher dadurch, daß ein Teil der Subventionen über eine Grundmenge von Düngemitteln subventioniert wird. Wer mehr verbraucht, muß selbst zahlen, und das soll empfindlich teurer werden. Die übrige Subvention von Ackerbau und Viehzucht soll immer geringer werden, je größer der Betrieb ist. Zwei Monate haben die Grünen dem Europarat noch Zeit gegeben, einen Beschluß zur grundlegenden Änderung der EG–Agrarpolitik zu fassen. Dann ist es mit ihrer Geduld zuende und sie ziehen vor den Europäischen Gerichtshof. Bislang hat der Europarat noch keine einschlägige Pressekonferenz für Mitte März in Brüssel angesetzt.