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I N T E R V I E W Mehr Kompromißfähigkeit beiderseits

■ Interview mit den NRW–Bundestagsabgeordneten der Grünen, Antje Vollmer und Otto Schily, zum Verhältnis SPD–Grüne

taz: Die SPD ist dabei, den Rau–Kurs zu verlassen. Ist die „Lafontaine–Linie“ für die Grünen nicht viel gefährlicher? Schily: Ich glaube das nicht. Wir werden am saarländischen Beispiel zeigen müssen, daß in einem Bündnis mit den Grünen mehr ökologische Politik durchzusetzen ist als mit einer absoluten SPD–Mehrheit. Rau hat es euch leicht gemacht, Lafontaine zwingt euch zur Entscheidung. Vollmer: Richtig ist: Die Rau–Strategie war für uns im Wahlkampf denkbar günstig, aber wir sind nicht mehr in der Situation, in der wir damals im Saarland–Wahlkampf waren. Wir wissen inzwischen, daß eines unserer besten Kapitale die Dynamik ist, die wir in der SPD selbst entfalten können. Viele SPDler glauben einfach nicht an eine gesellschaftliche Mehrheit für Rot–Grün. Vollmer: Das ist eine äußerst resignative Einstellung. Es wird ein Bewußtsein quasi unveränderbar unterstellt, gegen das man dann mit trickreichen Machtkonstellationen versu chen muß, Politik zu machen. Das halte ich für vollkommen falsch. Schily: Wenn man genauer hinsieht, fällt doch auf, daß wir, z.B. in NRW, eine deutliche rot–grüne Mehrheit haben... ..auf dem Stand, den die SPD 1972 allein erreicht hatte. Das gilt auch für den Bund... Schily: ...ja sicher, aber wir ziehen doch auch sehr stark Wertkonservative und Liberale zu uns herüber. Wir machen kein Nullsummenspiel. Wenn man die Prozentzahlen von rot–grün addiert und mit 1972 vergleicht, hat sich 1987 nichts getan. Schily: Man kann 1972 nicht einfach mit 1987 vergleichen. Vollmer: Erst wenn man das Angebot für eine andere Mehrheit dem Wähler gemacht hätte, wäre diese These überprüfbar. Aber ein solches Angebot existierte auf Grund der Rau– Strategie doch gar nicht. Schily: Eine neue Mehrheit setzt natürlich auch bei den Grünen voraus, daß sie manche Forderungen zurücknehmen. Nehmen wir den berühmten Stolperstein NATO–Austritt: Es gibt tendenziell eine Mehrheit für die Auflösung der Militärblöcke, aber nicht für einen einseitigen Austritt. Die gesellschaftliche Mehrheit wird dann erreichbar sein, wenn auch die Grünen kompromißfähiger werden und wenn SPD und Grüne das auch als ein Projekt anbieten. Der große Fehler von Rau war doch, daß er keine Hoffnung vermitteln konnte. Vollmer: Eine realistische Strategie zur Ablösung der Koalition würde eine ganz andere Dynamik entfalten, so statisch wie die Zahlen zu beweisen scheinen, ist das Bewußtsein in der Bevölkerung längst nicht mehr. Aber ich muß dem Otto noch widersprechen: Wir wollen eine blockunabhängige Strategie und wir sagen, wir machen den ersten Schritt. Unsere friedenspolitische Forderungen sind Schritte im Sinne einer Konfliktstrategie gegen die NATO und das gehört zu unseren Grundüberzeugungen... Schily: ...aber schrittweise. Das Interview führte Jakob Sonnenschein

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