Nürnberger Stadtrat debattiert Hintergründe der Gasexplosion

■ Gasexplosion, die fünf Todesopfer gefordert hatte, wurde durch Mieter verursacht, der die Leitung angezapft hatte / Trotz großer Kälte Gas–Versorgung gesperrt / CSU und Grüne rügen „inhumane Praxis“

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Praxis des städtischen Energieversorgungsunternehmens(EWAG), säumigen Kunden Strom und Gas zu sperren, steht nach der Gasexplosion, die Mitte letzter Woche in Nürnberg fünf Todesopfer gefordert hatte, im Brennpunkt der Kritik. Mit breiter Mehrheit lehnte der Stadtrat jedoch am Mittwoch einen Antrag der Grünen ab, die EWAG solle in Kälteperioden auf Absperrungen verzichten und vollzogene Absperrungen rückgängig machen. Als am 21. Januar um 1.04 Uhr eine gewaltige Explosion das vierstöckige Haus im Norden Nürnbergs wie ein Kartenhaus zusammenstürzen ließ, ahnte noch niemand die Ursache des Unglücks. Kurz darauf erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den 56jährigen Mieter Karlheinz B., der das Unglück schwerverletzt überstanden hatte. Nachdem die EWAG ihm wegen Zahlungsunfähigkeit am 12. Dezember 86 den Gashahn und damit die Heizung zugegedreht hatte, soll B. die Leitung angezapft haben. Im Stadtrat rügten die Grünen die „inhumane Praxis“ der EWAG. Sogar die CSU hielt ein warmes Zimmer und ein warmes Essen für „letztlich ein Stück Menschenwürde“. Die SPD hielt sich bedeckt, gelten doch die Städtischen Werke als SPD–verfilzter Konzern. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Fischer warnte davor, den Fall des Karlheinz B. zu verallgemeinern. B. habe sich ja nicht einmal mit dem Sozialamt in Verbindung gesetzt. Das hätte B. aber auch gar nichts genutzt. Er bezog 660 DM Arbeitslosenhilfe zuzüglich 193 DM Wohngeld. Abzüglich einer Miete von 300 DM blieben ihm für den Lebensunterhalt noch knappe 550 DM. Da die Arbeitslosenhilfe seinen Sozialhilfeanspruch übersteigt, hätte B. nur noch Einzelzuschüsse beantragen können. Für den grünen Stadtrat K. P.Murawski macht der Fall B. unmißverständlich die Notwendigkeit eines gesetzlich garantierten Mindesteinkommen von 1200 DM klar. Auch die Entschuldigung der EWAG, sie dürfe Absperrungenaus Datenschutzgründen nicht ans Sozialamt weiterleiten, ließ ernicht gelten. „Wenn die EWAG bei chronisch säumigen Kunden schon die Kreditauskunfteien, und das Wohnungsamt bei Räumungsverfahren das Sozialamt verständigen darf, warum soll die EWAG dann das Sozialamt nicht verständigen dürfen?“ Der Generaldirektor der Städtischen Werke, Netter, meinte, daß man bei Temperaturen von minus 5 Grad auf eine Absperrung verzichte. Allerdings sei nicht üblich, inKälteperioden den Hahn wieder aufzudrehen. Karl–Heinz B. wurde der Gashahn am 12. Dezember 1986 zugedreht. An diesem Tag herrschte in Nürnberg eine mittlere Temperatur von minus 0,4 Grad. Das Gas blieb auch gesperrt, als die Tiefstwerte auf unter minus 20 Grad fielen. Auf Netters Hinweis, daß „irgendwann im Interesse aller Kunden die Grenzen der Kulanz erreicht“ seien, kontert Murawski. „Es gibt hier nichts zu diskutieren unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten.“ Als Konsequenz aus dem Unglück verstärkt die EWAG nun die Absicherungen an abgesperrten Gasleitungen.