Geschlecht ist nicht Programm genug

■ Extra–Fraktionssitzung der 25 weiblichen grünen Bundestagsabgeordneten / Reicht die numerische Mehrheit, Machtstrukturen aufzubrechen? /Frauenpolitik versus Frauen machen Politik / Vertagung der Machtfragen auf die Fraktionssitzung kommenden Dienstag

Aus Bonn Ursel Sieber

Ein Novum: Die weiblichen Abgeordneten stellen in der neuen Fraktion der Grünen nicht nur die Mehrheit, sondern baten gestern auch zu einer Extra–Frauen–Fraktionssitzung. Die vorwiegend männliche Presse war recht zahlreich erschienen, um sich dieses Ereignis zu betrachten, und mancher Grüne fragte da ein bißchen irritiert: „Machen die das jetzt immer so?!“ Nun, liebe Männer, ganz entschieden ist die Sache zwar noch nicht, aber so schlimm siehts für euch gar nicht aus. Große Gefahr habt ihr von den Frauen bis jetzt nicht zu erwarten. Die Machtfragen wurden vertagt. Das Thema Vorstand und die Frage, wer warum in welche Bundestags– Ausschüsse darf, soll nun zu Beginn der gemeinsamen Sitzung am kommenden Dienstag behandelt werden. Dann werden die Frauen ihre männlichen Kollegen allerdings zuerst für ein paar Stunden aussperren müssen. Ein Frauenvorstand? In der Luft liegt das nicht. Keine einzige Abgeordnete hat im öffentlichen Teil der gestrigen Runde laut danach gerufen, und aus dem nicht–öffentlichen Teil ist darüber ebenfalls nicht berichtet worden. Vielleicht wollen die Frauen den Männern keinen weiblichen Vorstand mehr zumuten, jetzt, da sie schon zahlenmäßig die Mehrheit bilden. Ob sich die numerische Mehrheit auswirken wird? Die gestrige Vorstellung stimmte skeptisch. Gewiß: ähnliche Erfahrungen ga ben alle zum besten: Uschi Eid, die Obfrau im U–Boot–Untersuchungsausschuß, die dort ständig mit „Herr Eid“ angeredet wurde, beklagte, daß Pressevertreter automatisch auf den männlichen Stellvertreter Jo Müller zugingen. Angelika Beer, eine „Neue“ aus Schleswig–Holstein, hatte solche informellen Machtstrukturen im Wahlkampf erfahren. Und Christa Nickels sagte, „wir haben alle unsere Wunden zu lecken, und nicht zu knapp“. Aber es hatte nicht den Anschein, als ob aus diesen und anderen Wunden ein gemeinsames Vorgehen gegen die Männer der Fraktion folgen würde. Im Raume schwebte Frauenharmonie - tatsächlich überwogen wohl gegenseitiges Mißtrauen und Konkurrenz. Wie es aussieht, werden sich die Frauen in erster Linie den Strömungen innerhalb der Grünen zuordnen. Aber spannend wird es werden. Antje Vollmer dürfte recht behalten mit ihrer Prophezeiung: Die schwierigsten Fragen werden unter den Frauen aufbrechen. Sie nannte drei Themen: die Streichung des Paragraphen 218, die Heraufsetzung des Strafmaßes bei Vergewaltigung versus dem grünen Ziel der „Entkriminalisierung“, die Frage, ob die Ziele Feminismus und Ökologie zueinanderpassen. Sie vergaß das Thema „neue Mütterlichkeit“, das auch innerhalb der Grünen gärt. Große Unterschiede traten im Verständnis von Frauenpolitik zutage: Angekündigt war die Runde mit dem Thema „Frauenpolitik: Bilanz und Perspektiven“. Uschi Eid fand das zu „eingeschränkt“ und beantragte Erweiterung auf „Frauen machen Politik: Bilanz und Perspektiven“. Viele wollen aus dem „Ghetto“ der Frauenpolitik im engeren Sinne ausbrechen, allerdings ohne deutlich zu machen, ob und wie Frauen in den unterschiedlichsten Politikbereichen - sei es im Verteidigungs– oder Haushaltsausschuß - anders als üblich, nämlich vom Frauenstandpunkt aus, Politik machen werden. Oft schien das Geschlecht schon Programm genug. Petra Kelly sagte mit großer Selbstverständlichkeit, eine Frau müsse in den Verteidigungsausschuß, da Frauen gerade in puncto Abrüstung „eine andere Sicht“ und „ganz spezifische Radikalität“ besäßen. Halo Saibold forderte, „die weiblichen Fähigkeiten“ nicht zu leugnen, sondern zu „verstärken“, weil sie den Männern in der Politik fehlten. Großes Murren ging durch den Saal, als Verena Krieger, Ökosozialistin aus Nordrhein–Westfalen, dagegen hielt, „die menschlichen Eigenschaften müssen erst noch gefunden werden“. Frauen seien nicht die besseren Menschen: Sie hätten Probleme, sich aus ihrer Passivität zu lösen und selbstbewußt aufzutreten, während die Männer sich mackerhaft nach vorne spielten. Trude Unruh, die Abgeordnete der „Grauen Panther“, die den Grünen wohl noch manche Sorge bereiten wird, sorgte für ganz anderen Zündstoff: Sie fuhr auf, als Petra Kelly den Kollegen Alfred Mechtersheimer kritisierte, der die Bildzeitung am ersten Tage gleich mit einem Interview hofierte und damit den vierjährigen grünen Bild–Boykott brach. „So einfach ist das nicht“, sagte sie. „Da muß ich erstmal meine Organisation fragen.“